Die ganze Kraft einer Gesellschaft

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Published

17.02.2008 23:59

Weiter geht es mit der Aufarbeitung der TV-Aufzeichnungen auf der Festplatte meines DVD-Rekorders. Einige Filme lösche ich nach den ersten Minuten, wenn sie mich langweilen. Jeder zweite Film ist jedoch empfehlenswert, so auch Caché aus Frankreich mit Daniel Auteuil und einer wie immer tollen Juliette Binoche.

Der Inhalt des Films wird in der Wikipedia ausreichend beschrieben, weshalb ich darauf verweise und mit einem Zitat des Regisseurs Michael Haneke einsteige:

Ein Film ist 24 mal Lüge pro Sekunde.

Dies stimmt bei Caché nicht nur vordergründig (selbst Reportagen sind manipulierte Bilder, Kinofilme zu 100%), sondern gemeinerweise auch im Filmkontext selber. Das handelnde Ehepaar Anne und Georges Lauren bekommt seltsame Videobänder zugespielt, auf denen sie zusammen mit dem Zuschauer Aufnahmen aus ihrer Straße sehen. Diese sind aufgrund ihres stationären Charakters von allen anderen Aufnahmen im Film zu unterscheiden und machen einen großen Teil der Spielzeit aus; die Handlung darin beschränkt sich aber auf wenige relevante Elemente und gibt so genügend Zeit darüber nachzudenken, was man wirklich sieht.

Dies führt zum Schluss zu der Erkenntnis, dass die Videobänder nur ein Mittel des Regisseurs sind, den Zuschauer als Voyeur zu entlarven und die Handlung zu beeinflussen, denn wir bekommen zum Einen eine Szene aus den 60er Jahren zu Gesicht (in der es solche Kameras noch gar nicht gab) und schließlich auch eine Einstellung mit den beiden Söhnen und letzten Verdächtigen zusammen, die alle Theorien über eine logische Auflösung zunichte machen. Die Videobänder dienen alleine dazu, das Geheimnis in der Kindheit von Georges zu enthüllen und damit gleichzeitig die Probleme in der scheinbar heilen Welt der Familie Lauren.

Damit bin ich schon bei den drei Ebenen, die uns der Film liefert. Auf der eine Seite sieht man die Auswirkungen des fortwährende Terrorismus durch die anfangs inhaltsleeren Überwachungsvideos. Es entsteht eine Verunsicherung und diese führt zu Aggression und Depression, je nach Charakter. Anstatt Sicherheit zu bringen verändert diese Form der Überwachung den Menschen, denn sie impliziert dass auch alles private plötzlich öffentlich ist, so wie die Postkarte an die Schule des Sohnes oder das eine Band an den Chef von Georges.

Die zweite Ebene ist das Politikum um ein Massaker an demonstrierenden Algeriern in Paris 1961. Lose verknüpft mit dem Film ist das absichtliche Ausbooten des algerischen Jungens Majid ein Ebenbild dieser Greueltat. Georges verdrängt das Geschehene und muss sich trotzdem 45 Jahre später damit auseinandersetzen. Erst die extreme Reaktion von Majid bringt die Hintergründe ans Licht, und trotz aller Schuld kann Georges nicht mit dessen Sohn klarkommen. Wie die Unruhen in den Satellitenstädten von Paris steht dies für das Unvermögen Frankreichs, mit seiner Vergangenheit und vor allem deren Folgen umzugehen.

Die letzte Ebene ist schließlich das familiäre Problem. Das Paar verheimlicht sich gegenseitig Sachen und muss sich durch die Videos plötzlich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass sie eine Kette von Lügen aufgebaut haben die nach der Aufdeckung dazu führt, dass niemand mehr dem anderen vertraut. Es wird plötzlich wichtiger, die Umstände zu erfahren, als die Probleme anzugehen. Die Dialoge zwischen den beiden Hauptdarstellern sind dann auch das Highlight des Films, denn der Zuschauer ist ja dank der Videoaufnahmen informiert und kann trotzdem nicht die Fassaden der Charaktere durchschauen, sondern nur erahnen warum sie sich so verhalten und was sie dabei zu verlieren haben.

Das ganze ist also eine Abrechnung mit den Problemen unserer Gesellschaft: Anstatt sich damit offen auseinanderzusetzen wird verdrängt, es wird sich hinter Sicherheitsmaßnahmen versteckt und es werden Lügen aufgetischt, die den vertrauensvollen Umgang untergraben. Und ich als Zuschauer sitzte vor diesem präzise fotografierten Film und bekomme erst zum Schluss mit, dass ich eigentlich Teil dieser Handlung bin. Zweimal Lüge hebt sich bei Haneke also scheinbar wieder auf.