Die fetten Jahre sind vorbei

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20.12.2004 00:00

Deutschland (2004) Regie: Hans Weingartner Darsteller: Daniel Brühl (Jan), Julia Jentsch (Jule), Stipe Erceg (Peter), Burghart Klaussner (Hardenberg), Claudio Caiolo (Paolo) und andere soziale Schichten Offizielle Homepage

Jan und Peter haben ein ungewöhnliches Hobby: Sie steigen nachts in Berliner Villen ein, räumen die Möbel um und hinterlassen Nachrichten wie “Die fetten Jahre sind vorbei. Die Erziehungsberechtigten”. Als Peter kurzzeitig die Stadt verlässt, verlieben sich Jan und Peters Freundin Jule ineinander. Als diese von dem Hobby der beiden hört, überredet sie Jan, zusammen mit ihr in die Villa des neureichen Hardenberg einzusteigen, dem sie eine große Menge Geld schuldet. Doch es kommt wie es kommen muss: Hardenberg überrascht die Einbrecher und findet sich kurz darauf entführt von den drei Freunden auf einer Berghütte in den Alpen wieder…

Gesellschaftskritiker gab es schon immer und in allen Medien. Gesellschaftskritische Filme sind also nichts neues, doch fehlt ihnen meist das breite Publikum, welches es eher in Richtung der seichten Unterhaltung zieht. “Die fetten Jahre sind vorbei” hat es jedoch geschafft, nicht nur auf den Festivals auf sich aufmerksam zu machen, sondern auch geschickt auf der Welle der Empörung über den Abbau des Sozialstaates zu schwimmen - jedenfalls habe ich das Hallesche Capitol (ein Kino irgendwo zwischen Independent und Kommerz) noch nie so überfüllt gesehen und hatte noch nie solche Probleme, überhaupt einen freien Sessel zu finden.

Zu dem Erfolg mag auch Daniel Brühl (Good Bye Lenin!) zum Teil verantwortlich sein, der Deutschland erneut international sehr erfolgreich vertritt, wenngleich seine Leistung diesmal zwar gut, aber nicht herausragend ist. An seiner Seite dagegen brilliert Julia Jentsch, der zusammen mit ihren anderen aktuellen Filmen (“Schneeland” und vor allem “Sophie Scholl”) ein famoser Durchbruch auf der großen Leinwand gelingt. Sie ist es, die mit ihrem “Schicksal” den Stein des Anstoßes bildet und die anderen zu ihren Handlungen treibt - ein erstaunlich altmodischer Frauencharakter. Während Jans Handlungen manchmal etwas unschlüssig bleiben, nimmt man Jule jede Regung ab und kann die Gedanken über ihre unglücklich eingeschränkte Zukunft jenseits der erhofften Freiheiten mitfühlen. Der dritte im Bunde, Stipe Erceg, bleibt hinter der Präsenz von Brühl und Jentsch zurück, da er zum Einen weniger Auftritte hat und in seiner Rolle als Entscheider in den Dialogen meist nur Beisitzer ist. Überzeugend auch der Gegenpart des Trios, der “böse Kapitalist” Hardenberg alias Burghart Klaussner, der gekonnt das Bild der jungen Menschen von ihm durcheinander bringt (wobei mancher Schwank aus seiner Jugend maßlos übertrieben ist) und so Dialoge und Handlung (Anruf in der Telefonzelle) in den Alpen erst interessant macht.

Technisch ist der Regisseur einen neuen Weg gegangen, indem er nur mit Digital-Hand-Kameras drehte. Ob dies dem Künstler nun mehr Freiheiten lässt oder einfach nur billiger in Produktion und Schnitt ist, das Ergebnis hat jedenfalls für den Zuschauer seine Nachteile. Wenn der Regisseur nämlich das schnelle Laufen der Personen verdeutlichen will, so sieht der Zuschauer fast nichts auf den zu schnell wackelnden Bildern. Wo die Kamera kein Licht mehr findet ist es mit der gepriesenen Schärfe auch nicht weit her. Und dieser unrunde Eindruck setzt sich auch beim Ton fort, der scheinbar keiner Nachbearbeitung unterzogen wurde und so die Dialoge teilweise unverständlich sind, da die Darsteller aus unbekannten Gründen (Anschein von Spontanität?) nicht ausreichend auf ihre Aussprache achten.

Das Drehbuch verweigert entgegen der Werbung den eindeutigen Standpunkt, dass der Kapitalismus grundböse und das Freundetrio der klassisch gute Held ist. Zu viele Ungereimtheiten trüben diese Sichtweise: Alle drei Hauptcharakter stammen aus besseren Schichten, das Geld und die Möglichkeiten sind prinzipiell verfügbar. Peter und Jan haben trotz (freiwilliger?) Arbeitslosigkeit genügend Geld für die technischen Spielereien in ihrem VW-Bus (zu offensichtlich als Wagen der Blümchengeneration), die sie für die gut vorbereiteten Einbrüche benötigen. Jule dagegen hat durch die Eltern Zugang zu einem guten Job im Nobelrestaurant und der Berghütte in den Alpen - und warum man nicht die Verantwortung tragen sollte, wenn man ein Auto ohne vorgeschriebene Haftpflichtversicherung fährt und einen Unfall baut, ist mir leider nicht schlüssig.

Auch das Ende des Filmes, welches keine der gestellten Fragen beantwortet sondern sich in eine schöne Fanasie flüchtet, umschifft konsequent eine eindeutige Deutung. Der Logik nach müsste Hardenberg das Trio eigentlich verraten haben, aber auf der anderen Seite stellen sich doch einige Fragen: Wie können die drei Reise und Hotel finanzieren, wie sind sie an die Schlüssel zur Privatyacht von Hardenberg gekommen und vor allem wieso ist die WG von Jan und Peter beim Eintreffen der Polizei schon leergeräumt? Dies deutet alles auf eine Hilfe des “bösen Kapitalisten” hin, der scheinbar die Ideale seiner Jugend nicht alle verraten hat.

Doch welche Fragen stellt der Film nun? Hauptsächlich geht es um den Einfluss der Jugend auf das System, das sie wahrscheinlich bald verschlingt und anpasst wie Hardenberg. Wenn schon die innovativen 68er in der aktuellen Regierung ihre Ideale auf dem Weg an die Macht weit hinter sich gelassen haben, wie kann dann eine erfolgreiche Revolution aussehen? Jan ist voller Bewunderung für die Studentenproteste und weiß genau, gegen welche Probleme der Gesellschaft vorgegangen werden muss, doch fehlen ihm die bewegenden Ideen und so flüchtet er sich in seine idealstischen Pseudo-Einbrüche - schließlich will er die Gesellschaft nicht neu schaffen oder ihr schaden (sie gibt ihm ja auch Möglichkeiten), sondern von innen heraus zum Besseren wandeln. Jule und Peter sind da ein wenig bodenständiger und sehen zwar die Ungerechtigkeit und nutzen die Chance zur Konfrontation mit Hardenberg ausgiebig, doch sind beide eher bereit als Jan, für ihre Zukunft Kompromisse einzugehen, was auch zu Spannungen innerhalb des Trios sorgt. Da sie mit der Entführung und deren folgerichtigem Ende (Rückkehr von Hardenberg) jedoch jegliche Aussichten in Deutschland verspielt haben, treten die Drei die Flucht nach vorne an und erfüllen Jan seinen Traum von der Zerstörung der wichtigen Nachrichtenverbindung als großen Schlag gegen die kapitalistischen Mächte und Medien - ein traumhaftes Ende auch für den Film.

Fazit: Was läuft momentan falsch in diesem Staat und wie kann man die Gesellschaft ändern - diese Fragen stellt der Film in einer interessanten Konstellation von jungen Menschen, die die verbale Auseinandersetzung mit dem “Feindbild” in der Abgeschiedenheit einer Berghütte in den Alpen führen. Der Film verweigert sich dabei konsequent einer eindeutigen Linie in Handlung und Haltung, sondern bietet viele Ecken und Kanten. Die guten Schauspielleistungen können jedoch die Schwächen in der technischen Umsetzung und der Ausarbeitung der Charaktere und Handlung nicht ganz aufwiegen.