München

gesehen
Published

07.02.2006 17:00

USA (2005) Regie: Steven Spielberg
Darsteller: Eric Bana (Avner), Daniel Craig (Steve), Ciarán Hinds (Carl), Mathieu Kassovitz (Robert), Hanns Zischler (Hans), Ayelet Zorer (Daphna), Geoffrey Rush (Ephraim), Michael Lonsdale (Papa), Mathieu Amalric (Louis), Moritz Bleibtreu (Andreas), Valeria Bruni Tedeschi (Sylvie), Meret Becker (Yvonne), uvm
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Den Grund, weshalb ausgerechnet Steven Spielberg diesen Stoff angefasst und verfilmt hat, liefert der Regisseur gleich selber mit der letzten Einstellung des Films: Nach dem unbefriedigenden Gespräch des Filmhelden mit dem Mossad-Chef (überzeugend: Geoffrey Rush) bleibt die Kamera bei der Sicht auf die Twin Towers hängen. Spielberg sieht den 11.September also als eine der Folgen der sich gegenseitig hochschaukelnden Anschlagsserien an und verurteilt damit die Reaktionen der USA, da diese die Gewaltspirale nur weiter antreiben. Und da er als Jude mit diesen Film sein eigenes Volk kritisiert, sollen auf diesem Weg die Amerikaner zu entsprechender (Selbst-)Kritik angeregt werden. Jedenfalls sehe ich ein zunehmendes Aufbäumen Hollywoods gegen den neoliberalen Umschwung der Vereinigten Staaten, da dieser auch auf Kosten der künstlerischen Freiheit geht.

Doch zurück zum Film. Anders als der Titel manchem suggeriert, spielt die Geschichte gar nicht in der Olympiastadt von 1972, sondern nimmt die Geiselnahme von elf Isrealis durch ein Kommando der palästinensischen Untergrundorganisation “Schwarzer September” nur zum Anlass. Es geht um die auf den Anschlag folgenden Attentate auf die Drahtzieher hinter den Ereignissen in München. Spielberg folgt dabei der fiktiven, aber sehr überzeugend erscheinenden Interpretation der Ereignisse, dass der israelische Geheimdienst Mossad Mordkommandos ausgeschickt hat, um medienwirksam auf das Drama von München zu reagieren.

Der Film begleitet dabei eines dieser Kommandos auf ihrer mörderischen Reise durch Europa. Alle Mitglieder des Racheteams sind dabei durchschnittliche Bürger aus Israel, Deutschland, Belgien und Südafrika, welche man wohl heute als Schläfer bezeichnen würde. Keiner von ihnen hat Erfahrung im Töten, doch mit zunehmendem Erfolg ihrer Aktionen entwickelt sich der Geheimeinsatz zu einem Selbstläufer, und es geraten mehr Personen ins Fadenkreuz der Attentäter, als ursprünglich geplant. Doch auch das Team selber wird nun zur Zielscheibe für politische Gegner der Aktionen.

“München” beobachtet aus einer relativ neutralen Position den kompletten Einsatz des Kommandos. Von den Anfängen und der Kontaktaufnahme mit dem Informanten über den schwierigen Teil der Motivierung und Rechtfertigung der eigenen Taten bis zu der Dezimierung des Teams zeigt Spielberg dem Zuschauer sehr ausführlich das fiktive Verhalten der Charaktere. An vielen Stellen vielleicht zu ausführlich, denn vor allem im Mittelteil des Films ergeben sich Längen, welche den Zuschauer unruhig die Sitzposition wechseln lassen. Anders als bei Match Point ist auch kein durchgängiger Spannungsbogen hin zu einem unweigerlichen Finale zu erkennen, so nüchtern inszeniert Spielberg die Geschichte.

“Held” des Films ist der Führer des Rachekommandos, Avner. Er erklärt sich schnell dazu bereit, seinem Land auf diese Art und Weise zu dienen, selbst wenn es ihm am Anfang schwer fällt. Seine eigene Motivation gewinnt er immer wieder aus den traumatischen Bildern von München, welche in seinem Kopf umhergeistern. Die immer wieder aufkeimenden Kritikpunkte an den Aktionen werden von ihm verdrängt, doch bald führt dieses Verhalten auch zu der Ermordung von Menschen, welche nicht auf der initialen Liste der Ziele standen. Erst der Zerfall des Teams und ein katastrophaler Fehlschlag führen schließlich zur Beendigung des Einsatzes.

Dieser hat Avner in seinem Verlauf zu einem Paranoiker werden lassen, der leider feststellen muss, dass für jeden getöteten Palästinenser ein radikalerer Ersatzmann eingesprungen ist und seine Alpträume nur schlimmer geworden sind. Seine Stärke, nämliche die Selbstmotivation, ist dabei wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Er sieht plötzlich, dass die Interessen seiner Informanten in einer weiteren Eskalation liegen, da diese sich finanziell für sie lohnt, und auch der Mossad genau diesselben Beweggründe für die Anschläge hat wie die PLO-Mitglieder, welche Avner während einer Mission kennengelernt hat: Der Kampf für das eigene Land ohne Rücksicht auf Verluste und mit der geringen Chance auf einen Erfolg. Gleichzeitig werden jedoch Generationen von Menschen zu Feinden erzogen durch den ewigen Kreis von Anschlag und brutaler Gegenreaktion ohne jegliche friedliche Auseinandersetzung

Die befremdende Geschichte wird von einer Riege namhafter Schauspieler und der exzellenten Ausstattung getragen. Kamera und Schnitt versuchen dabei, möglichst neutral die handelnden Personen zu beobachten. So wird zum Beispiel die Geiselnahme von München während des Films etappenweise präsentiert: Man sieht die Palästinenser, wie sie in das olympische Dorf eindringen, aber auch die israelischen Sportler, welche von den Eindringlingen überrascht werden. Dies mündet schließlich im tragischen Ausgang auf dem Flughafen und der Ermordung aller Geiseln. In solchen Momenten wie auch bei den folgenden Anschlägen hält die Kamera oft genau auf die Opfer und zeigt in aller Grausamkeit die Verbrechen. Wie schon bei “Der Soldat James Ryan” verfolgt Spielberg also den Ansatz der schockierenden Realitätsnähe, den ich in einigen Situationen lieber vermieden hätte zu sehen. Gerade aufrund der durchgängigen Authentizität des Film mögen solche Darstellungen manche Zuschauer vielleicht visuell überfordern.

Fazit: Steven Spielberg versucht sich an einer neutralen Aufarbeitung der Geschehnisse rund um die Geiselnahme von München 1972. Er präsentiert dabei die sich ständig verstärkende Gewaltspirale als Mahnung, dass der Weg der Eskalation der falsche ist. Allerdings mutet Spielberg dem Zuschauer einige sehr grausame Szenen zu und zieht den Film zu sehr in die Länge, so dass “München” nur etwas für Freunde von politischen Filmen wie “13 Days” mit genügend Sitzfleisch ist.