Lemming

gesehen
Published

29.03.2008 00:38

Jaja, die Franzosen verstecken sich mit ihren kühl und präzise inszenierten, aber umso hintergründigeren Filmen über unsere moderne Gesellschaft gerne im Nachtprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Doch mein Videorekorder findet sie alle - nach Caché folgte nun Lemming von Dominik Moll, der bei den Darstellern unter anderem mit zwei fabelhaften Charlottes (Gainsbourg und Rampling) punkten kann.

Der Film dreht sich um das junge Ehepaar Alain und Bénédicte, das seinen Chef Richard zum Abendessen eingeladen hat. Dieser streitet sich dort mit seiner Frau Alice, woraufhin der Abend ein schnelles Ende findet. Am nächsten Tag versucht Alice Alain am Arbeitsplatz zu verführen; dieser widersteht jedoch und wirkt umso zerstörter, als er zu Hause im Abfluss einen halbtoten Lemming findet. Und als wäre dies nicht genug, sucht Alice als nächstes Bénédicte zu Hause auf und erschießt sich dort. Von nun an läuft das Leben von Alain total aus der Bahn: Er hat einen Autounfall, seine Frau scheint ein Verhältnis mit seinem Chef zu haben und wenn sie mit ihm spricht dann so, als wäre sie Alice. Und zu allem Überfluss rennt auch noch der Lemming frei und lebendig durch das Haus…

So seltsam sich die Zusammenfassung anhört - der Zuschauer hat in den über zwei Stunden Laufzeit des Filmes niemals das Gefühl, etwas anderes als die Realität zu sehen. Sogar für den Lemming hat der Regisseur am Ende eine plausible Erklärung parat, und trotzdem bleibt vieles unverständlich. Da werden schnell Assoziationen zu den Filmen von David Lynch wach, wenn plötzlich Bénédicte die Worte von Alice nachspricht, die sie gar nicht wissen dürfte. Und der Zuschauer fragt sich, ob er den Augen und Ohren von Alain überhaupt trauen kann, aus dessen Perspektive die Handlung erzählt wird. Oder hat er nicht nur die Küche voller Lemminge im Traumata seines Autounfalls erfunden oder gar andere Ereignisse vergessen? Aber wie soll er an den Schlüssel zum Haus seines Chefs gekommen sein, wenn nicht durch Bénédicte, die danach nichts mehr davon wissen will? Hat er vielleicht doch mit Alice geschlafen?

Der Film verschließt sich ganz eindeutig einer einfachen Interpretation und Auflösung. Mit dem Lemming fängt alles an und je lebendiger dieser Tier in den Filmszenen wird, desto unwirklicher wird die Handlung, um am Ende mit einem toten Tier wieder fast an den Ausgangspunkt zurückzukehren. Diese Kreise gibt es bei Lynch zwar ebenfalls, doch bei ihm sind es eher einzelne Szenen, in denen die Handlung komplett umspringt. Solche deutlichen Zeichen erwartet man dank der bei Hitchcock angelehnten Suspense-Filmmusik zwar auch von Dominik Moll, aber dieser spielt nur mit den Elementen des Psychothrillers und lässt den Film niemals ganz ins Unwirkliche oder allzu Dramatische abgleiten.

Mir hat an Lemming neben der surrealen Handlung aber auch der latent vorhandene Humor gefallen, der einerseits durch die Szenen (eine Küche voller Lemminge!) und andererseits durch das hervorragende Spiel der Hauptdarsteller entsteht. Während Laurent Lucas als Alain nicht nur dank der äußeren Auswirkungen des Unfalls im Laufe der Handlung in sich zerfällt, sind vor allem die Charaktere Bénédicte und Richard vielen Wandlungen unterworfen. Charlotte Gainsbourg pendelt wie selbstverständlich von der passiven Ehefrau zur selbstbewussten Femme Fatale, während André Dussollier sowohl den umsorgenden Chef als auch den pragmatisch-kühlen Firmenlenker geben darf.

Ein Film mit Mitgrübeln also, der sich zwar auf nicht so vielen Ebenen wie Caché abspielt, aber ganz ähnlich inszeniert ist. Und auch bei Lemming tragen tolle Schauspieler dazu bei, dass das surreale Konzept aufgeht und der Zuschauer den Film nicht so schnell aus dem Kopf bekommt!