Der Söldner vom Balkan
Soeben habe ich das erste mögliche Ende von GTA IV auf meiner Playstation 3 abgeschlossen. Zeit also, ein Resümee zu ziehen, ob sich der Kauf des Spiels (und der dafür notwendigen Hardware) gelohnt hat. Wie gewohnt gibt es Statistiken über fast jedes Detail im Spiel, die ich ausgiebig zitieren werde.
Für die von mir bis zum Abspann erreichten 63,50% Spielfortschritt habe ich fast 40 Stunden und 137 Ingame-Tage benötigt, wobei das Spiel nicht die Zeit mitzählt, die ich bis zum frustrierten Ausschalten ohne Speichervorgang aufgewendet habe. Da kann man wahrscheinlich noch einmal 10 Stunden aufschlagen; allein die letzte Mission habe ich erst beim sechsten Anlauf geschafft. Langzeitmotivation ist also eindeutig vorhanden. Und die 63,50% zeigen auch, dass ich neben den für das Durchspielen notwendigen Missionen viele Aufträge links liegen gelassen habe. Wenn man will kann man sich in Liberty City auch als Polizist, Rennfahrer, Auftragskiller, Drogenkurier oder Dieb von Nobelkarossen verdingen.
Ein wenig überraschend fand ich, dass GTA IV nicht indiziert wurde. Ich habe seit langem kein Spiel mehr gespielt, dass einen gewissen Grad an Realismus zu erreichen versucht und trotzdem außer Waffengewalt keine andere Lösungsstrategie zulässt. Fast alle Missionen beinhalten das Beseitigen großer Gegnerscharen (laut Ingame-Statistik habe ich beim Durchspielen knapp 1000 Menschen mit 23000 Kugeln getötet), nur bei vier oder fünf davon hatte ich am Ende die Wahl, den letzten Kontrahenten lebend davonkommen zu lassen. Dieses eintönige Missionsdesign ist dann auch der Hauptkritikpunkt am Spiel. Kaum Abwechslung und nur selten der Witz und die Abgefahrenheit, die man aus den Vorgängern kennt - das Spiel ist eindeutig realistischer als jemals zuvor; damit hat man aber auch eine Qualität der Serie grundlos aufgegeben.
Zudem ist Rockstar beim alten Speicherkonzept geblieben - während der Aufträge darf nicht gesichert werden. Wenn eine Mission aus einer langweiligen, einfachen und zeitraubenden Passage gefolgt von einem schwierigen Abschluss besteht, dann muss man im Falle des späten Scheiterns immer wieder den selben Teil noch einmal hinter sich bringen - dies kann ganz schön frustrierend sein. Manchmal glaube ich, die fehlenden Zwischenspeicherpunkte sollen nur den Schwierigkeitsgrad künstlich in die Höhe treiben.
Wenn man an einer der Missionen scheitert, bekommt man auf das im Spiel als zentrales Kommunikationsmedium dienende Handy eine SMS gesendet die es erlaubt, es gleich noch einmal zu versuchen. Dies ist ganz praktisch, da man recht viel Zeit damit verbringt, in Liberty City von A nach B zu kommen. Wenn man jedoch in der Mission seine sämtliche Munition verschossen hat und knapp bei Kasse ist, ist das Laden eines Speicherstandes die bessere Wahl. Während man sich am Anfang jedes Jobs vom Auftraggeber zum Zielort bewegt, quatschen die beteiligten Gangster meist allerlei sinnloses Zeug; Rockstar hat für jede dieser Überbrückungen zwei unterschiedliche Versionen vorgesehen. Ab der zweiten Wiederholung wird dann geschwiegen, so dass man sich nichts doppelt anhören muss.
Zum Glück wurde das Spiel nicht übersetzt, nur die Untertitel und teilweise die Reaktionen der Passanten sind auf Deutsch. Wenn Italiener auf Yugoslawen, Russen und Iren treffen, dann wäre eine Umsetzung der vielen Akzente im Deutschen wohl nur schwer möglich gewesen. Passend zu der realistischen Anmutung des Spiels fehlt es den Dialogen aber an Witz; ebenso sind die Figuren nicht mehr die gewohnten Karikaturen. Zumindest in den Radiosendern herrscht noch Anarchie; in den Nachrichtensendungen wird von Belics Blutspur berichtet und über den Wahn mit der Terrorismusangst hergezogen. Und die Statue of Happiness mit der Dose in der Hand geht durchaus als Konsumkritik durch. Leider kann man sie wie fast alle Gebäude nicht wirklich begehen; sobald man in den Eingang eintritt wird der Schirm schwarz und kurz danach steht man mit einem Touristen-T-Shirt wieder davor - enttäuschend.
Bei der Grafik hat sich leider nicht viel getan. Zwar sind die Details der Autos deutlich gestiegen und die Effekte auf dem Wasser und bei Gewitter (die Spiegelungen auf der nassen Straße) sind beeindruckend. Doch auf der PS3 fehlt deutlich das vom PC gewohnte Anti-Aliasing; das Bild ist durch das Flackern an Kanten und feinen Strukturen sehr unruhig, zudem gefällt mir der Weichzeichner nicht, der ab einer bestimmten Entfernung greift und verdecken soll, dass dort auf niedrig aufgelöstere Texturen und Modelle umgeschaltet wurde. In den wenigen begehbaren Gebäuden sind zudem kaum Details vorhanden und die Möbel wirken sehr grobschlächtig. Und leider scheitert die Grafikengine auch weiterhin an der Darstellung von Natur; Bäume und Küste erreichen leider nicht den hohen Standard der Innenstadtansichten. Dafür ähneln viele Plätze dort frappierend den Originalen in NYC. Vom Broadway über den Central Park bis zum Times Square wurde sehr viel Detailarbeit geleistet, doch nicht überall wurde so viel Zeit investiert.
Wie bei GTA gewohnt gibt es überall in der Stadt etwas zu entdecken. Die Schöpfer des Spiels haben ein eigenes Internet kreiert, ein Fernsehprogramm gestaltet und für ausreichend Freizeitaktivitäten wie Bowling, Dart, Billard (diese drei werden sogar simuliert), Variety oder Comedy gesorgt. Diese besucht man meist mit einem der Nebencharaktere, um deren Respekt oder Wohlwollen zu erringen. Einige Figuren bieten im Gegenzug Services wie zum Beispiel kostenlose Taxifahrten auf Anruf an. Frauen kann man über das Internet kennenlernen und zu Geliebten machen. Und oft wird man sogar von seinen Bekanntschaften angerufen, die gemeinsam etwas unternehmen wollen. Mit solcherart sozialer Kontaktpflege gehen sicherlich 10% der Spielzeit drauf.
In der restlichen Zeit musste ich, der ich die bisherigen GTA-Spiele auf dem PC mit Maus und Tastatur gezockt habe, nicht nur mit tausenden von Gegnern sondern auch mit der Steuerung kämpfen. Manchmal wären drei Hände ganz nützlich, zum Beispiel beim gleichzeitigen Steuern eines Fahrzeugs und dem zielgerichteten Schießen dabei. Die Zielübungen mit dem Analogstick erscheinen dem Mausbenutzer unnötig schwer, trotz Zielautomatik (die leider nicht immer dahin wechselt, wo man es gern hätte). Und auch die “In Deckung gehen”-Taste macht gelegentlich ihre Probleme; Nico Bellic ist deshalb nicht immer optimal zu steuern, was in den bleilastigen Missionen schnell den Tod bedeutet. Zumindest beim Autofahren kann aber das Gamepad seine Stärken ausspielen.
Zusammengefasst macht GTA IV einen gespaltenen Eindruck. Grafisch evolutionär weiterentwickelt funktioniert das bekannte Spielprinzip noch immer und konnte mich ausreichend motivieren. Der gesteigerte Realismus lässt aber die Ironie der älteren Teile vermissen. Zudem sind die Missionen recht eintönig und beschränken sich fast nur aufs Töten. Die gewohnte Detailverliebheit der Schöpfer entschädigt jedoch dafür. GTA IV ist also nicht das beste Spiel aller Zeiten, aber in Sachen Spieldauer und Detailverliebtheit gibt es momentan auf der PS3 keine Alternativen.