Eine Insel

gelesen
Published

08.05.2009 23:05

von Terry Pratchett, erschienen bei Manhattan, ISBN 978-3-442-54655-8, 19,95€

Zwischen all seinen Scheibenweltromanen aus der Erwachsenen- und der Kinderserie hat Terry Pratchett noch Zeit gefunden, ein Jugendbuch zu schreiben.

Er erzählt darin eine Geschichte aus einer Welt, die unserer zum Verwechseln ähnlich sieht. Im 19.Jahrhundert hat es in Ozeanien eine riesige Flutwelle gegeben, die nicht nur alle Bewohner einer Insel bis auf den Jugendlichen Mau weggespült hat, sondern auch das Schiff der Tochter des englischen Thronerben auf der Insel stranden ließ. Während der Junge mit der Situation klarzukommen versucht, dass alle seine Familienmitglieder und Freunde gestorben sind und darüber seinen Glauben an die Götter der Inselwelt und die Regeln seiner kleiner Nation verliert, hat die als Prinzessin erzogene Daphne Anpassungsprobleme an das Leben in einer Gesellschaft, in der Frauen keine Oberteile tragen und Männer nur Lendenschürze. Doch beiden bleibt gar keine Zeit, sich um diese Probleme zu kümmern, als immer mehr Opfer der Flutwelle auf der Insel eintreffen in der Hoffnung, dass die alte Nation den Obdachlosen Zuflucht bietet…

Eine Insel hat zwei große Probleme: Anfangs will das Buch ein Jugend-Entwicklungsroman im Stile von Herr der Fliegen sein. Es wird sehr ausführlich der Schock beschrieben, den Mau nach der Welle erlebt und der geradezu hypnotischen Zustand, den der Hauptdarsteller durchstehen muss. Zu diesem Zeitpunkt fehlen dem Buch der typische Pratchett-Humor und die ihm eigene Phantastik, die wenigen surrealen Handlungselemente wie die zu Mau sprechenden Geister der Großväter könnte man als Auswüchse seiner den Tod vieler Menschen verarbeitenden Psyche interpretieren.

Der mit Bedacht gewählte einfache Schreibstil macht es dem Leser jedoch erstaunlich schwer, dem Inhalt zu folgen. Der Übersetzer schiebt den schwarzen Peter für die schlechte Qualität der deutschen Ausgabe dem Lektorat zu, doch es sind weniger die Details, die falsch sind, sondern vor allem der Satzbau. Es ist nicht immer klar, welches das Subjekt des Satzes ist, und ich weiß nicht wie oft ich den Namen des Hauptcharakters Mau als man gelesen habe. So führen viele unglückliche Elemente zu einer wirklich schlechten Übersetzung - langsam sollte ich wirklich auf die englischen Originale umsteigen.

Die zweite Hälfte des Romans hat dann genau das, was der ersten fehlt. Es wird lustig, die immer wiederkehrende Scheibenwelt-Moraldiskussion inklusive Happy-End für die gute Seite findet statt und es gibt genügend fantastische Spielereien um die historische Entwicklung der parallelen Buchwelt. Doch dies ist gleichzeitig ein Problem: Mit dem Umschwung der Handlung wird auch der Stil der ersten Buchhälfte aufgegeben, so dass die beiden Teile nicht so richtig zueinanderpassen wollen. Die Auflösung der Charakterentwicklung ist einfach zu primitiv; dem Genre der Jugendromane wird so kein neuer Aspekt abgerungen. Zumindest das steampunkige Setting hat eine Menge Charme, doch dies allein reicht nicht für ein gutes Buch.

Fazit: Das abitionierte Projekt Terry Pratchetts, ein Jugendbuch in seinem unnachahmlichen Stil zu schreiben, ist leider gescheitert. Ist der Leser anfangs noch nah dran an den verstörten Jugendlichen nach der Katastrophe, ändern sich Stil und Inhalt in Buchmitte drastisch, um schließlich auf ausgetretenen Scheibenweltpfaden zu wandeln. Die Idee mit der Wiege der Zivilisation auf einem ozeanischen Kontinent zu Zeiten der Eiszeit rettet aber zumindest inhaltlich das Werk zu einem halbwegs ertragbaren fantastischen Roman.