Eine kleine Darren-Aronofsky-Retrospektive

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Published

30.08.2009 01:19

Vor kurzem ist die Wrestler-Bluray erschienen und hat den Weg zu mir nach Hause gefunden. Dies habe ich zum Anlass genommen, sie mir zusammen mit den vor kurzem im Free-TV laufenden Filmen des Regisseurs Pi und The Fountain anzusehen und jetzt auch zusammen zu besprechen.

Pi

In Aronofskys Erstling geht es um den begabten Mathematiker Max Cohen, der für seine Theorie der mathematischen Grundlage der Natur nach Mustern in scheinbar chaotischen Zahlenmengen sucht. Forschungsobjekte sind dabei sowohl die zufällig aussehende Zahl Pi, die schon sein Mentor bis zu seinem Schlaganfall zu entschlüsseln versuchte, als auch die Börsenkurse, die er mit Hilfe seines Computers Euklid tagtäglich analysiert. Als dieser eines Tages abraucht mit der ungewöhnlichen Vorhersage eines Börsencrashes und der Ausgabe einer noch ungewöhnlicheren 216stelligen Zahl, ist Max zuerst am Boden zerstört. Doch dann muss er überrascht feststellen, dass der Börsencrash tatsächlich eingetreten ist und nicht nur eine große Wall-Street-Firma hinter der seltsamen Zahl her ist, sondern auch eine jüdische Sekte. Sollte diese Zahl vielleicht der Schlüssel zu allen Mustern auf der Welt sein?

Was einem als erstes an diesem Film auffällt ist die ungewöhnliche Optik. Der gesamte Film ist in grobkörnigen Schwarz-Weiß gehalten, wobei die meisten Szenen zwar kontrastreich, aber auch unterbelichtet sind. Zudem ist die Kamera sehr dynamisch und immer sehr nah an den Charakteren, bedingt durch die geringe Auflösung. So erlebt der Zuschauer ganz nah die Anfälle, die Max mit zunehmender Filmdauer quälen, und in schneller Schnittfolge Max ganz persönliches Muster: Aufstehen, Tablettenmix, Café in seiner Stammkneipe, Go-Spielen mit dem Mentor und danach seinen Computer Euklid mit den Börsendaten füttern.

Dieses Muster wird aber durch immer mehr Ereignisse unterbrochen, die Max zunehmend verwirren und zu verstärkten Anfällen und Traumsequenzen führen. Bald kann der Mathematiker Realität und Traum nicht mehr auseinanderhalten, wird paranoid und greift am Ende zu einer extremen Maßnahme, um all dem zu entfliehen: Die Selbstverstümmelung seines verwirrten Gehirnes.

Dies hört sich nach einem Film an, der Nerds und Informatikern wie mir gefallen sollte. Dabei wirft Aronofsky eigentlich nur viele populärwissenschaftliche Verschwörungstheorien in einem Topf und erschafft dabei doch einen atmosphärisch dichten Thriller, der viele interessante Themen anspricht. Es geht unter anderem um die allgemeine Frage der Intelligenz bzw des Bewusstseins. Ist eine genügend leistungsfähige und programmierte Hardware wie der Computer Euklid in der Lage, sich seiner Natur bewusst zu werden? Kann er ein Muster entdecken, dass der Mensch nicht sofort als solches erkennt, und das wiederum im menschlichen Gehirn zu einer Bildung eines neuen Bewusstseins führt?

Oder gibt es dieses Muster gar nicht; sind die Jäger der mysteriösen Zahl nur fehlgeleitet in ihrem Wunsch, eine Lösung all ihrer Probleme zu finden? Und Max - seit seiner Kindheit mit der Frage konfrontiert, ob er seinen Sinnesorganen, dieser Verbindung zur Außenwelt, überhaupt trauen kann - ist er ebenfalls ein Verteidiger dieser Bastion, die sein erklärtes Lebensziel war, ein Hüter der wahren Erkenntnis, die er gar nicht haben will und die seinen Geist zerstört?

Mit vielen dieser Fragen wird der Zuschauer am Ende von Pi zurückgelassen. Fakt ist, dass das menschliche Gehirn sich noch weitgehend unserem Verständnis verschließt und nicht so einfach zu kopieren ist. Dies vermittelt Aronofsky sehr eindringlich und in sehr individuellen Bildern, die lange im Kopf des Kinogängers hängen bleiben. Einen Teil des Gehirns weiß der Regisseur also direkt anzusprechen.

The Fountain

Um einen ähnlich verwirrenden, aber sowohl optisch als auch erzählerisch komplett anders aufgebauten Film handelt es sich bei The Fountain. Der Inhalt wird hauptsächlich über die durchkomponierten Bilder erzählt; die wenigen Dialoge erläutern nur das Nötigste. Deshalb verkommt jede Inhaltsangabe zwangsläufig zu einer Interpretation des Films; auch weil die meisten Szenen nicht in chronologischer Reihenfolge auftreten.

Tom Creo ist Biochemiker und auf der verzweifelten Suche nach einem Heilmittel für seine krebskranke Frau Izzy. Dabei steckt er so viel Energie in seinen Kampf gegen den Tod, dass er Izzy in ihren letzten Stunden nur selten zur Seite stehen kann. Den entscheidenden Durchbruch mit einem Mittel auf Basis eines südamerikanischen Baumes erzielt er zu spät; seine Frau kann er nicht mehr retten.

Kurz vor ihrem Tod hat Izzy ihm jedoch ein von ihr geschriebenes, unvollendetes Buch überlassen. Darin erzählt sie die Geschichte des Conquistador Tomas, der im Auftrag der spanischen Königin nach dem sagenhaften Baum des Lebens der Maya sucht. Ist seine Mission erfolgreich, soll er die Hand der Königin erhalten, doch kurz vor dem Erreichen des Ziels wird er von einem Maya-Priester erstochen.

Als Izzy Tom das Buch überreichte, bat sie ihn, es zu vollenden. Er wisse schon, wie das Ende aussieht. Tom in seiner Angst vor dem Tod, interpretiert dies anfangs als Aufforderung, ein Happy-End zu scheiben, und lässt Tomas den sagenhaften Baum finden und überleben. Tom selber pflanzt schließlich so einen Lebensbaum am Grab von Izzy und erlangt durch das regelmäßige Essen von dessen Rinde ein extrem langes Leben, doch seine Liebe kann es nicht zurückbringen.

Als der Baum nach fünfhundert Jahren zu sterben anfängt, erinnert sich Tom an einen der letzten Abende mit Izzy, als sie ihm einen sterbenden Stern zeigte, der laut den Maya den Eintritt in die Zwischenwelt Xibalba zwischen Tod und Leben verbirgt. Zusammen mit dem Baum von Izzys Grab macht er sich dorthin auf um endlich zu begreifen, was seine Frau ihm mit dem Buch sagen wollte.

Die drei Erzählebenen (Buch, Gegenwart, Zukunft) überkreuzen sich an vielen Stellen im Film; viele (meist runde) Symbole wie die Frucht des Lebensbaumes oder der Ehering von Tom begleiten diese Übergänge, obwohl die Szenen nicht in chronologischer Reihenfolge geschnitten sind. Ebenfalls sehr häufig wird ein Kopfüber-Kameraschwenk eingesetzt, bei dem das Bild erst auf dem Kopf steht, um schließlich nach einer Drehung um die Horizontale der Bewegung in korrekter Ausrichtung zu folgen. Damit wird signalisiert, dass alle drei Handlungsebenen sich in Variationen um dasselbe Thema drehen, dieses aber aus entgegengesetzten Richtungen betrachtet wird.

Und dieses Thema ist die Auseinandersetzung mit dem Tod. Tom hat Angst davor zu sterben und will deshalb Izzy zurück ins Leben holen, während diese ihm verständlich machen will, dass man nicht gegen die Natur ankämpfen kann und manchmal einfach loslassen muss. Sie hätte in ihren letzten Tagen lieber Tom an ihrer Seite als im Labor gesehen und drückt dies über das Buch mit seinen Allegorien aus, in denen Tomas die Königin lieber weit weg in Südamerika durch die Suche nach dem Lebensbaum beschützen will, als in der Nähe seiner Liebe zu weilen. Deshalb lässt Izzy Tomas dort auch sterben, ohne das Ziel erreicht zu haben.

Tom begreift dies erst in der totalen Einsamkeit des toten Sterns. Seine erfolgreiche Suche nach dem Mittel gegen Krebs hat ihm Izzy nicht zurückgegeben; in dieser Hinsicht war sein Leben ein Fehlschlag und so lässt er schließlich los - ein unendliches Leben hat ihn nicht erfüllt, vielleicht ist der Tod ja ein neuer Anfang wie die Maya es sahen.

Das ein so bildgewaltiger Film mit einer reduzierten Geschichte überhaupt funktioniert, liegt zum einen an der kunstvollen Verschachtelung, so dass sich der Inhalt nicht sofort erschließt, und der erstaunlichen Leistung der Schauspieler, die sich der Optik nicht unterordnen. Allen voran Hugh Jackman hätte ich das nicht zugetraut, aber mit seiner Ausdrucksstärke hilft er dem Zuschauer, in der Bilderflut nicht unterzugehen.

So kann man dem Film im Vergleich mit dem optisch ebenfalls herausragenden The Fall eine mangelnde Eingängigkeit bzw eine fehlende oberflächige Ebene vorwerfen, die verglichen mit dem hohen Budget zu einem schlechten Einspielergebnis führte. Wer jedoch die Bilder auf sich wirken lässt und bereit ist, sich auch nach dem Ende des Films mit ihnen auseinander zu setzen, der bekommt ein paar Stunden Kopfkino geschenkt.

The Wrestler

Der Wrestler zu guter Letzt fällt total aus der Reihe der hier besprochenen Filme. Zwar findet sich auch in ihm die niemals ruhig stehende Kamera, die sogar die Totalen verwackelt, aber ansonsten zeigen die Bilder schonungslos und realitätsnah das Leben des gealterten Wrestlers Randy, genannt “The Ram”, der nach einem Schlaganfall plötzlich nicht mehr in den Ring steigen darf. Seine Versuche, ein neues Leben mit einem anderen Job aufzubauen, scheinen anfangs vielversprechend. Mit der Nachtbartänzerin Cassidy beginnt er eine vorsichtige Romanze und zu seiner Tochter kann er erstmals seit Jahren wieder eine Beziehung aufbauen.

Als das auf wackligen Beinen stehende Konstrukt seines neuen Lebens jedoch durch einen leichten Rückschlag erschüttert wird, steht Randy plötzlich trotz aller Ratschläge seines Arztes wieder im Ring, umgeben von den ihn anhimmelnden Fans. Doch kurz vor dem finalen Sprung aus den Seilen des Rings, als die Kamera noch einmal auf Randy mit seinen Schmerzen in der Brust zoomt, blendet der Film aus. Das stringente Ende wird nicht mehr gezeigt, aber die Struktur als klassischer Dreiakt lässt nur eine Tragödie zu.

Und ich frage mich, wieso nach so außergewöhnlichen Filmen wie Pi und The Fountain Darren Aronofsky einen so gewöhnlichen Film dreht. Gut, The Wrestler ist eine schonungslose Milieustudie mit einer gut aufspielenden Besetzung, aber das Drehbuch in seiner klassischen und direkten Struktur hat mich enttäuscht. Die Weisheiten des Films werden auf dem Präsentierteller gereicht, sind vorhersehbar und in ähnlicher Form schon oft dargestellt worden. Kein Vergleich zu den experimentellen Vorgängern, wenn auch ein guter Film.

Auf jeden Fall werde ich mich demnächst an Requiem for a dream wagen, der bei der IMDB zu den fünfzehn besten Filmen dieses Jahrtausends gezählt wird. Riesige Aussetzer scheint es im Gegensatz zu interessanten Themen bei Darren Aronofsky nicht zu geben.