Bibliothèque Pascal

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Published

25.02.2010 23:39

Berlinale-Filmdatenblatt / Offizielle Homepage

Eine junge Frau sitzt in einem rumänischen Amt und will das Sorgerecht für ihre kleine Tochter zurück. Diese hatte sie ihrer Tante anvertraut, als sie sich auf der Suche nach Arbeit Richtung Westen aufmachte; doch die Tante misshandelte das Kind, nutzte es aus, um auf Jahrmärkten Geld zu verdienen, und so landete die Tochter im Heim. Die Mutter muss nun erklären, wie es dazu kommen konnte und wieso der Staat ihr das Kind wieder anvertrauen soll.

Die junge Frau erzählt daraufhin eine fantastische Geschichte: Wie sie den Vater des Kindes kennenlernte, einen polizeilich gesuchten Straftäter, dessen Träume sich nachts zu sichtbaren Bildern manifestieren. Wie sie ihrem Vater nach Wien folgte, um ihn dort sterben zu sehen und in die Hände von Menschenhändlern zu gelangen und nach England verkauft zu werden. Wie sie dort in einem Bordell arbeiten muss, in dem die Huren literarische Figuren spielen, und schließlich von ihrem Vater befreit wird, den ihr Kind in einem Traum wieder zum Leben erweckt hat.

So fantastisch sich der Film über weite Teile der Laufzeit gibt, so ernst ist doch das Thema, das er behandelt. Es geht um den osteuropäischen Menschenhandel, um die Verkauf junger Frauen in die westeuropäischen Staaten und deren Ausbeutung als Prostituierte. Die Geschichte der Hauptfigur ist dabei beispielhaft für so viele Schicksale: Vom Vater der Tochter mittellos zurückgelassen, folgt sie den Versprechungen einer Arbeit in den Westen, nur um dort ausgebeutet, erniedrigt und von Drogen abhängig gemacht zu werden.

Die geplatzten Träume und Schicksalsschläge erträgt die junge Frau nur, indem sie die Erfahrungen mit ihrer ausufernden Fantasie verarbeitet. So dichtet sie dem Mann, der sie nach dem schnellen Sex verlassen hat, eine abenteuerliche Räubergeschichte mit tragischem Ende an und vor allem das spannende Element, seine Träume für alle sichtbar werden zu lassen. Diese Eigenschaft wird sie der Tochter in der erzählten Geschichte vererben.

Ein wiederholt vorkommendes Element sind die Entschuldigungen, die sie für alle erfindet, die sie enttäuscht haben. Der Vater konnte sich nicht um die gemeinsame Tochter kümmern, weil er kurz nach der Zeugung erschossen wurde. Die Tante wurde erpresst, die Fähigkeit des anvertrauten Kindes auszunutzen, und der eigene Vater starb als er verhindern wollte, dass die junge Frau als Prostituierte verkauft werden soll.

In Wirklichkeit wurde sie von allen nahestehenden Personen immer nur enttäuscht; niemand war für sie da oder hat ihr ohne Hintergedanken geholfen. Es gab keinen Vater, der sich schützend vor die Tochter gestellt hätte, und so äußert sich der Wunsch nach einer starken Männerfigur deutlich in der ausgeschmückten Geschichte. Dass ausgerechnet der rumänische Beamte diese Rolle einnimmt, indem er das Kind wieder der Mutter zuspricht, ist das verdiente Happy-End des Films.

Regisseur Szabolcs Hajdu findet in der ersten Hälfte seiner Fabel viele beeindruckende Bilder und Einstellungen, um die bunte Fantasie der Hauptfigur abzubilden. Vor allem die Kamerafahrten, die die Bewegung eines Darstellers aufnehmen und mit regelmäßigen Kulissen wie den Säulen am Strand verbinden, verblüffen in ihrer optischen Wirkung. Mit dem Verkauf der Frau nach England holt jedoch die bittere Realität der Erzählung die Darstellung ein, der sympathisch-schräge Humor verschwindet vollends und die verwirrenden Bilder des Edelbordells können auch in ihrer Farbenvielfalt nicht die Abartigkeiten verdecken, die in diesem Gefängnis an den Frauen begangen werden.

So bleibt ein optisch beeindruckender Film in Erinnerung, der ein ernstes, aktuelles Thema von einer interessanten Seite aus betrachtet. Ein Highlight der Berlinale!