Schwierigkeiten bei der Interpretation von Inland Empire

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21.11.2010 22:48

Einen Film von David Lynch nicht sofort zu verstehen, ist keine Schande. Der Regisseur bietet seinen Zuschauern ja bewusst keinen leichten Zugang, sondern verwirrt sie gerne mit verschiedenen Realitätsebenen, deren Unterscheidung schwerfällt. In Inland Empire treibt er diese Chiffrierung jedoch auf die Spitze. Als Reaktion auf die wohl erfolgreichen Ansätze zur Interpretation der letzten Filme Lost Highway und Mulholland Drive, die seinem Verständnis zur Rezeption seiner Filme widersprechen, ist er diesmal schon bei der Produktion andere Wege gegangen. Mit preiswerter Digitaltechnik, ohne zusammenhängendes Drehbuch und unter Ausnutzung von Auszügen eines gescheiterten Serienprojektes (u.a. die Hasenszenen) ließ er seiner Kreativität freien Spielraum und entwickelte die Kinofassung des Films erst beim Schnitt. Die wichtige Szene, in der die von Laura Dern gespielte Hauptperson ihre Leidenslebensgeschichte in einem Monolog vorträgt, wurde von 40 Minuten auf die Auszüge heruntergekürzt, die sich nun im Film wiederfinden.

Doch trotz des Wissens, dass David Lynch vielleicht in vollem Bewusstsein einen Film geschaffen hat, der sich jeder eindeutigen Interpretation entzieht und eigentlich eher als Ausdruck von Gefühlen und Stimmungen wahrgenommen werden sollte, gibt es im Internet ausreichend Versuche, das Gesehene in eine verständliche Reihenfolge und Kausalität zu bringen und ihm damit einen Sinn zu verleihen über das hinaus, was der Regisseur öffentlich verkündet.

Und dabei hat er sich so große Mühe gegeben, jegliche Linie aus dem Film zu nehmen. So gibt es zwar ein paar grundsätzlich stark voneinander abweichende Handlungsebenen (das Hollywood des Filmstars Nikki, das Hollywood der Film-im-Film-Sue, die Südstaaten der 60er/70er Jahre, Polen wohl in den 90ern), doch die allgegenwärtige DV-Qualität der Aufnahmen macht es schwer, zu jeder Szene sofort zu antizipieren, in welcher Ebene sie sich gerade abspielt.

Auch die Mode und die Frisuren lassen nur selten Rückschlüsse zu, während zumindest Laura Derns Ausdrucksweise zwischen zwei ihrer Rollen unterscheiden helfen kann. Viele der Schauspieler, ob nun Männer oder Frauen, tauchen in mehreren der Handlungsebenen auf, doch bei meiner ersten Sichtung hatte ich enorme Schwierigkeiten, diese wiederzuerkennen. Dies ist leider ebenfalls der DV-Bilder geschuldet, die mit ihrer sehr wechselhaften Schärfe und der oft irritierenden Perspektive der Handkameras nur wenig Hilfe geben.

Ein weiteres Problem schleppt die deutsche Synchronisation mit ein. Obwohl in der Originalfassung des Films die Hälfe der Dialoge auf Polnisch gesprochen wird, dürfen wir in der deutschen Fassung alles in unserer Muttersprache hören. Dies bedeutet nicht nur, dass wichtige Hinweise auf die sich gerade abspielende Handlungsebene verloren gehen, sondern auch, dass ich auf Gedeih und Verderb einer Synchronisation ausgeliefert bin, die nicht nur gleichzeitig des Englischen wie des Polnischen mächtig sein muss, sondern auch den Film verstanden haben sollte. Da es dafür aber keine Unterstützung von David Lynch gibt, kann ich nur hoffen, dass die deutsche Synchronisation aus Unwissen keine Fehler eingebaut hat, die mir die Interpretation unnötig erschweren.

Aber vielleicht sind das alles nur Ausreden um mein persönliches Scheitern beim Verständnis von Inland Empire zu verschleiern. Ich mag es, über Filme nachzudenken und deren Inhalte zu entschlüsseln. Ein Film, der sich aber bewusst schon durch den Produktionsprozess einem kausalen Begreifen entzieht und nicht über seine Handlung verstanden werden will, der macht es mir schwer, damit klarzukommen. Ich mag es wirklich, wenn Lynch seine surrealen Szenen über mich einstürzen lässt, aber das kann es doch nicht gewesen sein?! Da muss doch noch mehr an diesem Film sein, etwas das dem Gesehenen einen gewissen Sinn verleiht. Und so werde ich wohl trotz der schlechten Aussichten auf Erfolg weiter versuchen, mich Inland Empire anzunähern…