Vampire
Ein romantisch-schwermütiger Film über einen Vampir - das klingt nicht unbedingt nach der Berlinale und passt eher in die Zielgruppe pubertierender Mädchen. Noch dazu, wo der Cast von Vampire fast ausschließlich aus jungen, hübschen Darstellern besteht. Doch Multitalent Iwai Shunji (Regisseur, Drehbuchautor, Cutter, Kameramann und Komponist der Filmmusik in einem) fängt zwar die typische Stimmung eines Vampirfilms ein, sein Hauptdarsteller hat mit den mythischen Blutsaugern jedoch nur das Verlangen nach menschlichem Blut gemeinsam.
Denn der Simon ist weder unsterblich noch lichtscheu, sondern ein einfacher Highschool-Lehrer, der sich auf einer Website für gemeinsamen Suizid mit jungen Frauen verabredet, die er dann überredet, ihrem Leben durch Ablassen des Blutes ein Ende zu bereiten. Dieses fängt er in Gläsern auf und ernährt sich davon. Doch seine Kontaktaufnahmen im Internet sind nicht frei von Gefahr und als eine erste seiner Leichen gefunden wird, gibt es plötzlich ungewollte Aufmerksamkeit für den “Vampir”. Die potentiellen Opfer sind vorgewarnt und vorsichtiger und Simon lernt auch verrückte Fans seiner Masche kennen. Zudem hat er die Bekanntschaft einer Polizistin gemacht, vor der er verzweifelt versucht, seine Sucht geheim zu halten, obwohl diese sich in sein Privatleben drängt.
Als jedoch eine japanische Austauschschülerin seiner Highschool-Klasse sich umbringen möchte, entwickelt Simon plötzlich Gewissensbisse. Seine nächste Suizid-Verabredung, Ladybird, kann er einfach nicht umbringen, obwohl sie seine Identität kennt und trotzdem bereit ist, ihr Blut zu geben. Und da sind wir schon wieder bei einem typischen Vampirthema, denn Simon verliebt sich in Ladybird und der Film driftet gerade in Richtung Happy-End, als die Polizei in Simons Wohnung mehrere blutleere Suizidleichen findet und er enttarnt wird.
Bis dahin lebt der Film vor allem von seinen teilweise surrealen Momenten, die sich im Spannungsfeld zwischen Suizid-Community und der Sucht nach Blut abspielen. So entgeht Simon nur knapp dem Tod, als er an eine Gruppe Selbstmörder gerät, die in einem Van eine tödliche Säure freisetzen, und muss sich dann selbst von einer Verabredung Blut absaugen lassen, als er Blutegel an seinen Beinen findet. Dass er seine demente Mutter mit riesigen weißen Luftballons und Gummiseilen in der Wohnung festhält gehört ebenfalls zu den eigenartigen, aber prägnanten Szenen von Vampire, die dem Film einen gewissen ironischen Unterton geben, mit dem er das Vampir-Thema variiert.
Die eigentlichen Blutabnahmesequenzen sind dafür sehr melancholisch inszeniert mit einer anfangs sehr passend empfundenen Streicher- und Pianomusik. Dieser fehlt es jedoch an Variationen und so langweilt sie schließlich bei der x-ten Wiederholung. Es dauert eine ganze Weil, bis Vampire dem Zuschauer endlich eine Option anbietet, wie diese verquere Geschichte zu deuten ist. Kurz vor Schluss wird Simon nämlich gezeigt, wie er seiner Schülerin im Krankenhaus Blut spendet. In ebensolchen Aufnahmen wie bei der Blutentnahme seiner Suizidverabredungen sieht man das Blut aus seinem Arm entfließen, und zusammen mit den folgenden traumartigen Sequenzen (u.a. eine Flucht vor der Polizei, bei der Simon plötzlich in der Luft schwebt) kann ich nur schließen, dass bis auf den Selbstmordversuch der Austauschschülerin sich die gesamte Handlung nur im Kopf von Simon abspielt als Folge des Blutverlustes.
Festgehalten wurden die oft sehr schönen Bildkompositionen übrigens von einer Spiegelreflexkamera (der Canon EOS 5D). Dies merkt man in einigen Szenen, wenn ihre Schwächen wie vermatschte Farben im Dämmerlicht, geringe Auflösung und dadurch entstandenes Aliasing sichtbar werden. Über die gesamte Spielzeit des Films überrascht jedoch die Qualität der Bilder; durch die Kompaktheit der Kamera werden einige interessante Perspektiven ermöglicht.
Vampire ist sicherlich nicht der künstlerisch anspruchsvollste Film auf der diesjährigen Berlinale. Iwai Shunji verliert sich einfach zu oft in verträumt schwermütigen, aber nichtssagenden Bildern und übertreibt es mit dem selbstgeschriebenen Score. Dennoch ist genau diese Stimmung gut bei mir angekommen und der Film hat seine Momente, an denen er mehr ist als der leicht ironisch angehauchte Versuch, ein eigentlich ernstes Thema (die hohe Suizidquote in Japan) romantisierend zu verarbeiten.