Shining Girls

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Published

31.12.2022 10:05

Ein Serienmörder, der verdächtig viel über seine weiblichen Opfer weiß und jeweils ein “Andenken” in ihnen hinterlässt. Ein Opfer, das überlebt hat, dessen Leben sich aber seitdem ständig ändert, bis sie seine Stimme wiedererkennt und alles unternimmt, um ihn an weiteren Taten zu hindern.

So weit, so altbekannt. Es sind zwei Punkte, die Shining Girls zu etwas Eigenständigem machen. Da ist zuallererst das fantastische Element: Der Zuschauer weiß von Anfang an, wer der Täter ist - aber nicht, wie er es macht. Wie kann er vorher wissen, was seine Opfer sagen werden, was sie tun werden? Wie können die “Andenken” in den Opfern von den anderen Tatorten stammen, obwohl sie chronologisch nicht passen? Und warum ändert sich wortwörtlich ständig das Leben der Hauptfigur Kirby - ist sie einfach nur eine sehr unzuverlässige Erzählerin, oder steckt mehr dahinter?

Der zweite Punkt, der mich vor allem am Fernseher gehalten hat, ist die spannende Erzählperspektive aus Sicht von zwei Journalisten. Während die Polizei keine wahrnehmbaren Erfolge vorweisen kann, fand ich es sehr spannend, Kirby und dem Reporter Dan bei der Recherche zuzusehen. Wie sie sich jeden Informationshappen mühsam erarbeiten, nur in winzig kleinen Schritten vorwärtskommen, aber trotz aller Widrigkeiten ein Detail nach dem anderen aufdecken und so am Ende der Wahrheit gefährlich nah kommen.

Dazu ist Elisabeth Moss als Hauptdarstellerin immer ein Grund zum Einschalten. Bei Shining Girls hat sie zudem bei einigen Episoden Regie geführt und war an der Produktion beteiligt. Das riecht nicht nur verdächtig nach ihrer anderen, noch laufenden Erfolgsserie The Handmaid’s Tale, sondern sieht teilweise auch genauso aus. In einer Episode nimmt die Kamera ihr Gesicht aus nächster Nähe auf - und ich wusste nicht, ob ich die Gesichtsregungen einer aufgelösten Kirby oder von June Osborne sah. Zum Glück folgten keine weiteren derartigen Flashbacks, wofür schon das unverbrauchte Setting des 1992er Chicagos sorgt.

Achtung: Nun folgen massive Spoiler!

Die Serie schafft es dank der Schauspielleistung von Elisabeth Moss, dem Zuschauer die Situation von Kirby verständlich zu machen. Wie man leben kann, wenn einem täglich kleine bis große Konstanten des eigenen Lebens einfach ausgetauscht werden. Dass das eigene Haustier von Katze zu Hund wechselt, mag noch ertragbar sein. Aber wenn man nur noch weiß, wo man wohnt, indem man in seinen Ausweis schaut, oder plötzlich einen Ehemann hat, an den man sich nicht erinnern kann und seinen Arbeitsplatz und Job jeden Tag von neuem im Verlagsgebäude suchen muss, dann ist das eine extreme, aber gut dargestellte Metapher, wie sich Opfer von Gewaltdelikten nach der Tat fühlen.

Weniger begeistert bin ich im Nachhinein vom fantastischen Aufhänger der Serie: Dem Haus, das dem Bewohner ermöglicht, zu jedem gewünschten Datum in der Zukunft oder Vergangenheit zu springen. Zuerst hielt ich es für ein klassisches Zeitreise-Thema, wo Änderungen an der Vergangenheit die Gegenwart (1992) beeinflussen. Doch der Mörder hat dieselben Tage mehrmals aufgesucht und ist sich niemals selber begegnet. Und Kirby hat am Ende die Vergangenheit komplett umgeschrieben.

Das spricht eher für das aktuell im Kino so beliebte Multiversum-Konzept, wo bei jedem Verlassen des Hauses eine neue Kopie des Universums betreten wird. Doch warum springen Kirby (und Jin-Sook) unkontrolliert durch die Universen, wenn der Mörder etwas in anderen Kopien ändert? Und wieso läuft die Zeit im Haus zwar in einer gewissen Chronologie ab, aber doch anders als außerhalb? Wieso kann der Mörder nicht weiter als 1992 springen? Im Buch, auf dem die Serie basiert, soll es dazu mehr Hintergründe geben, die Verfilmung lässt die vielen Fragen aber bewusst unbeantwortet.

Die letzte Episode gab mir schließlich noch zwei bittere Pillen zum Schlucken mit: Zum Einen ist Kirby das allererste Opfer des Serienmörders und ihre Recherchen führen schließlich zu weiteren Taten (auf denen die Nachforschungen basieren, ein Zeitreise-Paradoxon). Das Richtige tun, aber Schlechtes bewirken - das ist schon bitter, vor allem da sie ja selber Opfer ist.

Zum Anderen ist sie zwar nicht so grausam wie der Mörder, aber nachdem sie die Macht des Hauses begriffen hat, macht sie auch ausgiebig davon Gebrauch. Das ist eine weitere Parallele zu June Osborne, die nachdem sie verstanden hat, was sie eigentlich bewirken kann, mir als Zuschauer sehr unsympathisch wurde. Macht korrumpiert, diese Erkenntnis scheint Hollywood gerade stark zu beschäftigen.