Die Quendel-Trilogie

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13.04.2023 14:44

von Caroline Ronnefeldt, erschienen bei Ueberreuter Verlag

Was passiert, wenn man den kleinen Hobbit von Tolkien mit Stranger Things kombiniert? Nun, eine sehr interessante Erfahrung auf jeden Fall. Zumindest ersteres als Inspiration hat Caroline Ronnefeldt zugegeben, und die Parallelen fallen schnell auf: Ihr Hügelland als idyllische Dorfromantik erinnert stark an das Auenland. Das kleinwüchsige Volk der titelgebenden Quendel mag eigentlich keine Aufregung, sondern erfreut sich am Rauchen und Kaffeekränzchen und flucht mit Pilznamen. Und ehe man sich versieht tritt das Dunkle, Böse in die Handlung und ein heimtückisches Wesen auf, das auf einem Stein sitzt und in Reimen spricht.

Zum Glück bleibt es nicht bei diesen Gemeinsamkeiten. Der erste Unterschied ist schon der Grundton, denn Ronnefeldt legt sehr viel Wert auf die düstere Stimmung der Bücher. Jedem Kapitel ist ein Zitat aus dem Schauerschatz deutscher Dichter vorangestellt (auch wenn der Ehrlkönig seltsamerweise fehlt) und sie selber hält ab Mitte von Band 1 die bedrohliche Atmosphäre fast kontinuierlich aufrecht. Jede Beschreibung, jeder Schritt der Figuren lässt frösteln, und Lichtblicke werden dem Leser nicht mehr gegönnt - höchstens Verschnaufpausen, bevor es noch gruseliger wird.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird klar, dass zwar vieles wie beim Hobbit aussieht, aber auf nordisch-germanischen Mythen basiert (die ja vielleicht auch Tolkien inspiriert haben). Es tritt die Wilde Jagd auf, eine Trude und ein Rudel gespentischer Wölfe; gemischt wird dies mit Hügelgräbern, schwarzen Wäldern und Burgruinen, in denen Raben hausen, die gerne nur ein Auge haben. Zudem weisen Flora und Fungi auf hiesige Lande hin; auch wenn wir Deutschen wohl nie so gemütlich wie die Quendel waren.

Aber so ist das eben mit der verklärenden Romantik (Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war), und Ronnefeldt hat neben den Zitaten noch eine weitere Spur gelegt, die auf die Quellen ihrer Inspiration weist: Die Quendel messen Entfernungen in Schlegeln, und die Gebrüder Schlegel waren Vertreter der Frühromantik und beschäftigten sich dabei auch mit der Mythologie - die Quendel-Trilogie könnte glatt ein Spätwerk dieser Epoche sein, wenn sie nicht der Atmosphäre fast alles andere unterordnen würde.

Autorin Caroline Ronnefeldt kommt eigentlich von der Buch-Illustration; sie selbst hat die Karte des Hügellandes gezeichnet, die im Einband zu finden ist. In Buch 1 gibt es aber noch ein paar nervende Eigenheiten, die deutlich machen, dass es ihr erster Wurf ist: Sie wechselt gerne pro Absatz die Perspektive der aus der dritten Person erzählten Geschichte, so dass unklar ist, wessen Gedanken gerade gefolgt wird. Zudem erzählt sie teilweise sehr langatmig und ausschweifend, wodurch die Handlung vor lauter Details und sich wiederholenden Gedanken kaum vorwärts kommt.

Im zweiten Teil musste ich dann verkraften, dass die Akteure aus Teil eins zwar die ganze Zeit laut warnen, aber ansonsten einfach mal nichts tun. Sie wissen, dass etwas Grauenvolles auf sie zukommt, aber bereiten sich nicht darauf vor und kommen sogar auf die Idee, an einem Fest teilzunehmen, das sie eigentlich absagen wollten. Dieses seltsame Verhalten ist nur schwer nachzuvollziehen und ich persönlich trauere etwas dem spannenden Höhlensystem hinterher, dass in Teil 1 nicht ansatzweise erklärt wird und in Teil 2 nur ganz kurz Handlungsbestandteil ist. Generell nervt, dass die mit Wissen ausgestatteten Charaktere dieses schön für sich behalten und alle anderen immer wieder Ausreden dafür finden, nicht nachzufragen.

Noch stärker als der erste Teil zeichnet sich Buch 2 durch zu wenig Handlung aus. Ähnlich dem Vorwurf an Serien gibt es am Anfang wichtige Szenen und spitzt sich alles zum Ende hin zu, aber dazwischen wird einfach nur die - zugegeben nervenaufreibende - Atmosphäre hochgehalten und leider vieles wiederholt und aufgewärmt, so dass die Motivation zum Weiterlesen bei mir merklich schwand.

Teil 3 führt die bekannten Stilmittel dann ins Extreme: Das Fluchen mit Pilznamen wird überreizt; es gibt nur noch intensive Situationen und es geht von Aufregung zu Aufregung, wodurch sich merkliche Abnutzungserscheinungen ergeben. Als die Quendel dann auch noch beschließen, gemeinsam in ein Himmelfahrtskommando zu ziehen, fühlt es sich plötzlich wie Die Gefähren an. Doch während die Hobbits die besten Krieger von Mittelerde an ihrer Seite wussten und einen klaren Plan hatten, entscheiden die Gefährten hier aus dem Bauch heraus, die Details ihres Planes bleiben wie immer nebulös: In der Schattenwelt kann man sich leicht verlaufen - ach, dafür finden wir schon eine Lösung, wenn wir dort sind. Nachvollziehbar ist das nicht.

Bei ihrem Versuch, den Horror im Kopf des Lesers immer weiter zu steigern, verrennt sich Ronnefeldt zudem gerne in ihren Bildern:

Beklemmende Albträume fielen über sie her und das Begehren jenes anderen, dessen Wille diesen furchtbaren Ort wie schwarze Milch durchdrang.

Was ist denn “schwarze Milch”? Und wie durchdringt Milch einen Ort (in diesem Fall einen steinernen Turm)? Ich verstehe auf der Gefühlsebene, was sie mir vermitteln will, aber das Bild ist einfach schrecklich.

Dafür gefielen mir die Perspektivwechsel gut, wenn plötzlich aus der Sicht der Wälder oder der Vision des zurückgebliebenen Quendels berichtet wird. Trotzdem hätte ich gerne mehr über die unterirdischen Gänge erfahren, vor allem da ein Teil der handelnden Figuren dort entlang zieht - aber ab Mitte des dritten Buches nimmt die Handlung endlich Fahrt auf, und da verzeihe ich gerne, dass einige Nebenhandlungen in wenigen Absätzen abgehandelt werden.

Sogar das Ende muss sich der neu entdeckten Handlungsgeschwindigkeit unterordnen und lässt mich - wenig verwunderlich - mit Fragen über Fragen zurück. Übrig bleiben viele Löcher im Worldbuilding der wunderbar schaurigen und schwer begreiflichen Anderswelt. Wer sich von der Atmosphäre mitreißen lässt, dem fällt das vielleicht gar nicht auf, aber mir fehlte etwas der funktionierende Unterbau und gewiss einiges an Erklärungen. Aber wer weiß wie viel Horror eine Geschichte noch entwickeln kann, die vollständig ausbuchstabiert ist…