Promising young woman / She said

gesehen
Published

06.05.2023 21:05

Der Zufall wollte es, dass ich innerhalb von zwei Wochen zwei Filme mit der großartigen Carey Mulligan gesehen habe, die sich am selben Thema abarbeiten: Der Analyse der Strukturen, die es Männern in unserer Gesellschaft erlauben, Frauen zu missbrauchen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Gestern bin ich seltsam ratlos aus She said gegangen, denn trotz der Thematik um die Recherchen, die den Weinstein-Skandal aufdeckten, hat mich der Film seltsam kalt gelassen. Dabei mag ich eigentlich Filme, welche die Arbeit von (investigativen) Journalisten beleuchtet; zuletzt hat mich da Spotlight überzeugen können. She said zeigt aus einer streng weiblichen Perspektive die beiden Reporterinnen der New York Times, Megan Twohey und Jodi Kantor, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen und versuchen, in ihrer Recherche Lücken in der Mauer aus Schweigen zu finden, die Weinstein und seine Anwälte mit viel Geld und Verschwiegenheitserklärungen um die Opfer errichtet haben.

So weit so gut. Der Film spricht im Vorbeigehen auch viele Faktoren an, die das System Weinstein gestützt haben: Die ausschließlich männlichen Führungsetagen der Filmfirmen wie Miramax und der beteiligten Anwaltskanzleien. Selbst in der New York Times, eigentlich heimlicher Held des Films, wird die oberste Führungsebene als männlich dargestellt und erst das Mittelmanagement ist paritätisch besetzt. Am anderen Ende der Nahrungskette arbeiten typischerweise die prädestinierten Opfer: Junge Frauen am Anfang ihrer Karriere, die sich von ihren Assistenten-Jobs den Einstieg in die Filmbranche erhoffen.

Abhängig und vergewaltigt von Weinstein hatten die Frauen nie eine Chance: Vor Gericht steht Aussage gegen Aussage, in außergerichtlichen Einigungen stehen sie einem geldgestützten Rechtssystem gegenüber, das Schweigen erkaufen kann, und in der Filmbranche haben sie keine Zukunft mehr; zu weit reicht der mächtige Arm von Weinstein. Damit sind es am Ende die Opfer, die unverschuldet den Preis der Tat zu tragen haben, neben den physischen und psychischen Schäden, die vielen blieben.

Warum also lässt mich der Film so kalt? Da ist zum Einen Maria Schraders Regiestil, der immer eine gewisse Distanz zu seinen Charakteren bewahrt. Ich sehe die Figuren von außen handeln und agieren, doch eine emotionale Bindung will sich nicht einstellen. Das war schon in Ich bin dein Mensch so, wobei dies die inhaltliche Ebene gut spiegelte, und betraf fast alle Nebenfiguren in Unorthodox, der mit seiner längeren Laufzeit zumindest der Hauptfigur genügend Raum gab.

Visuell bleibt She said auch relativ nah an Maria Schraders vorherigen Werken: Sehr cleane High-Key Bilder zeichnen ein Idealbild der Journalistinnen, die Welt der Opfer oder gar des Täters bleibt (bewusst) außen vor. Nur wenige Rückblenden in derselben Klarheit zeigen kurze Szenen vor oder nach Weinsteins Übergriffen, wobei die eigentlichen Attacken nur sehr dokumentarisch in kurzen Schilderungen der Opfer erzählt werden; oft nur über das Telefon.

Das ist alles nicht schlecht, aber leider habe ich 14 Tage vorher Promising young woman gesehen, der viel spannendere filmische Mittel findet, um dieselbe Anklage zu führen. Inhaltlich geht es um eine Gruppenvergewaltigung unter Medizinstudenten. Das Opfer ist daran zerbrochen und beging später Selbstmord, ihrer besten Freundin Cassie folgen wir als Zuschauer ein paar Jahre später. Sie hat nach der Tat ihrer Kommilitonen das Studium geschmissen, arbeitet in einem Café und lässt sich nachts, scheinbar total besoffen, von Männern abschleppen, die ihre Situation ausnutzen wollen, nur um dann den Spieß umzudrehen. Als sie dann zufällig einem Freund vom College wieder begegnet und sich sogar verliebt, kommt sie wieder im Kontakt mit Tätern und Unterstützern der Vergewaltigung und beschließt, sich an ihnen zu rächen.

Promising young woman verlangt Carey Mulligan in der Hauptrolle deutlich mehr ab als She said - und sie liefert. Sowohl der nächtliche Vamp als auch die antriebslose Café-Angestellte am Tage, die noch bei den Eltern wohnt, sind nur zwei der Masken, die Cassie sich angelegt hat. Als sie sich in Ryan verliebt, beginnen diese Fassaden und ihr Doppelleben zu bröckeln. Und das zeigt der Film sowohl erzählerisch als auch visuell: Der Zuschauer muss sich durch eine Maske nach der anderen arbeiten, um den Kern von Cassie freizulegen. Die Optik einer RomCom oder eines Buddy-Movie ist eben nur Fassade, genau wie die scheinbare Betrunkenheit. Und als sie sich durch Ryan immer mehr öffnet, fallen plötzlich auch die erzählerischen Schranken: Ihre Eltern sind nur vordergründig daran interessiert, dass sie auszieht. Und die Mutter des Opfers hat Cassies nächtliche Bewältigungstechnik, die sie nicht loslassen lässt, längst durchschaut.

Der Film schafft es bis zum bitteren Ende, den Zuschauer neu zu überraschen. Immer wenn ich dachte, die kreativen Wege durchschaut zu haben, die Cassie findet, um diejenigen das Leid des Opfers nachvollziehen zu lassen, die die Tat damals deckten oder einfach wegsahen, biegt der Film wieder auf einen anderen Weg ab - aber immer psychologisch nachvollziehbar. Nach und nach setzt so nicht nur das Bild von Cassie zusammen, sondern auch von den Strukturen, die ermöglichten, dass nach einer Vergewaltigung das Opfer tot und die Täter erfolgreich in ihrem Beruf sind. Und dieses Bild ist so intensiv, dass ich mehrmals schwer schlucken musste.

Wer also nur einen der beiden Filme mit Carey Mulligan sehen kann, dem empfehle ich Promising young woman anzuschauen - schauspielerisch, visuell und erzählerisch ist dieser das spannendere Werk.