A Comic Summer

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19.07.2023 23:44

Ich kann gar nicht sagen, wie es dazu kam, aber diesen Sommer habe ich nach langer Zeit wieder einmal zu einigen Comics gegriffen.

Kate Beaton - Ducks: Two Years in the Oil Sands

Kate Beaton verarbeitet in ihrem zuerst als Webcomic erschienenen Buch ihre Zeit in den Ölsandabbaustätten im abgelegenen Norden Kanadas, wo es sie hin verschlagen hat, weil sie möglichst schnell das Geld zur Abzahlung ihres Studentenkredites verdienen wollte.

Das Buch beginnt mit ein paar schönen (Wort-)Bildern, die die Landflucht auf Nova Scotia und die sozialen Probleme und Folgen von Studiengebühren/-krediten beschreiben. Doch dann wirft die Autorin den Leser hinein in die seltsame Männerwelt der Abbaustätten. In hohem Detailgrad beschreibt sie eine Gesellschaft, die in der Abgeschiedenheit des unwirtlichen Nordens und der fast kompletten Abwesenheit von Frauen viele zwischenmenschliche Standards einfach über Bord geworfen hat. Dass diese Parallelgesellschaft überhaupt existiert verdankt sie nur dem Geld, das durch den Raubbau an der Natur gewonnen wird. Die nach ihrem Studium noch junge und naive Kate muss nach und nach nicht nur die Schattenseiten dieses Lebens erleben, sondern auch wie den Ureinwohnern das Land genommen wurde und auf die verrücktesten Art und Weisen versucht wird, ein Bild von einem sauberen Abbau für die Öffentlichkeit zu zeichnen.

Auch wenn die Zeichnungen eher einfach gehalten sind, sind die behandelten Themen des Buches umso eindrücklicher und sehr aktuell - eine klare Empfehlung!

Alejandro Jodorowsky/José Ladrönn - Der letzte Incal

Vor zwei Jahren habe ich mit dem Incal einen Klassiker des Sci-Fi-Comics nachgeholt. Mit Jodorowsky und Moebius haben darin zwei Künstler auf der Höhe ihres Schaffens das Genre auf lange Zeit geprägt und viele Folgewerke in den unterschiedlichsten Medien inspiriert.

Der letzte Incal als vermutlicher Abschluss der Serie ist von den Qualitäten des ersten Teils leider weit entfernt. Ladrönn als Zeichner findet zwar einen guten Mittelweg zwischen Möbius-Zitat und eigenem Stil, aber was Jodorowsky da als Autor verbricht ist mehr als enttäuschend. Der Humor ist flach, sein Menschenbild in den 70er steckengeblieben, neue Ideen sind Mangelware und das Tempo viel zu hoch, um noch irgendwie mit den Charakteren mitzufühlen. Wenn dann noch die Panels in Totalen herauszoomen und nicht mehr klar ist, wer da gerade unverständliches Technogebabbel brabbelt, dann bin ich als Leser vollkommen abgehängt.

Ryan Ottley - Grizzly Shark

Dieses Jahr kam Cocaine Bear ins Kino, ein Horrorfilm nach einer wahrer Begebenheit über einen Bären, der von Kokain abhängig wird. Jörg Buttgereit hat die Besprechung des Films in seiner Kolumne in der ray genutzt, um auf Grizzly Shark hinzuweisen, ein blutiges Stück Comic-Trash. Dort jagen an Land lebende Haie in amerikanischen Wäldern alles, was nur den kleinsten Bluttropfen absondert. Das führt zu vielen blutigen Panels und abgetrennten Körperteilen, was zum Glück so kurzweilig ist und immer absurder wird, dass man als Leser schneller durch ist als sich der Gag abnutzt.

Zoe Thorogood - It’s Lonely at the Centre of the Earth

Ich war überrascht, was diese noch junge Künstlerin vollkommen alleine vollbringt: Sie ist Autorin, Zeichnerin und übernahm auch die Kolorierung des autobiografischen Werkes. Vor allem die Zeichnungen finde ich herausragend, zumindest was den “normalen” Stil angeht. Denn passend zu den Themen, die sie streift (Depression, Kindheit, Familie, Liebe) malt sie sich und ihre verschiedenen Seiten in unterschiedlichen Stilen, bis hin zu einfachsten schwarz-weißen Strichfiguren. Das ist kreativ, aber zumindest für meinen Geschmack nicht immer schön anzusehen. Gut fand ich hingegen die “Anonymisierung” fast aller anderen Personen als Tierköpfe, denn es spiegelt schön den durchaus wörtlich zu nehmenden Titel wieder: Es geht ausschließlich um Zoe und ihr Innenleben; nur eine Freundin und ein temporärer Freund bekommen daneben mehrere Seiten gewidmet.

Die Idee, mit Anfang 20 ein Comicbuch über sechs Monate des eigenen Lebens zu schreiben, entpuppt sich aber als zu einschränkend, denn es passiert leider zu wenig in ihrem Leben - und in so jungen Jahren hat sie auch nicht so viele prägende Geschichten, die einen Storybogen bilden würden. Sie geht zwar sehr offensiv und kreativ mit diesem selber erkannten Mangel um, aber das ändert leider nichts an der Tatsache, dass der Graphic Novel eine Handlung fehlt.

Ich freue mich trotzdem auf weitere Werke von ihr, denn ihre zeichnerischen Fähigkeiten finde ich überragend!

Deena Mohamed - Shubeik Lubeik

In fortgeschrittenem Alter habe ich mich zum ersten Mal mit einem Comic beschäftigt, das von rechts nach links gelesen wird - und erstaunlicherweise kein Manga ist, sondern aus dem arabischen Kulturraum stammt. Die Autorin ist Ägypterin und entsprechend ist das Buch ein Ritt durch die Gesellschaft des heutigen Ägyptens.

Es ist unterteilt in drei schwarz-weiß gehaltene Episoden, die jeweils von einer Hauptfigur handeln, sich aber überschneiden und unterbrochen sind von Erklärungsboxen und kolorierten Interludes um den Kioskbesitzer Shokry aus Episode 3.

Die Welt von Shubeik Lubeik ist unserer ganz ähnlich - mit einem wichtigen Unterschied: Ähnlich dem Flaschengeist aus 1001 Nacht gibt es in Flaschen abgefüllte Wünsche, die wie Bodenschätze durch die erste Welt geplündert werden und einen gewissen Wert besitzen, aber auch das Risiko in sich tragen, dass der Wunsch falsch verstanden wird.

Kioskbesitzer Shokry hat drei Wünsche von seinem Vater geerbt, will diese aber aufgrund der Gefahr gar nicht einsetzen, sondern am liebsten loswerden. Doch die armen Seelen, denen er die ersten beiden Wünsche verkauft hat (Aziza, Nour), wurden nicht glücklich damit. Denn die ägyptische Gesellschaft ist weiterhin trotz aller Wünsche eine ungerechte Gesellschaft. Die Reichen und Mächtigen halten die Wünsche aufgrund der unendlichen Möglichkeiten unter strenger Kontrolle, sodass Aziza nach dem Kauf sogar im Gefängnis landet. Gleichzeitig machen die Wünsche nicht zwingend glücklich, was der Student Nour erkennen muss, der trotz aller Möglichkeiten und Ressourcen der reichen Eltern depressiv ist und nach einem Sinn für sein Leben sucht.

Das wunderbare an Shubeik Lubeik ist, wie es alle seine Bestandteile - die Phantastik der Wünsche, die Abbildung der Gesellschaft, die verschiedenen Storylines - miteinander verwebt. Die Autorin nimmt sich über 400 Seiten Zeit, sehr detailliert ihre Charaktere zu zeichnen und die komplexen Beziehungen untereinander auszuarbeiten. Diese Dichte ist für ein Comic wirklich außergewöhnlich und deshalb kann ich Shubeik Lubeik nur weiterempfehlen.