Capital B - Wem gehört Berlin?

gesehen
Published

14.10.2023 18:55

Zum diesjährigen Tag der deutschen Einheit hat arte einen kritischen Blick zurück auf 33 Jahre Wiedervereinigung geworfen - am Beispiel von Berlin, dem einstigen Symbol für das getrennte Deutschland. In fünf Episoden nimmt Dokumentarfilmer Florian Opitz den Zuschauer mit auf eine Reise durch die Entwicklung der Stadt seit 1989 und hat dazu einige der einflussreichen Akteure dieser Zeit interviewt.

Eberhard Diepgen und Klaus-Rüdiger Landowsky kommen genauso zu Wort wie Thilo Sarrazin und Klaus Wowereit. Ihnen gemein ist der wenig reflektierte Blick zurück auf ihre Amtszeiten, während die jeweiligen politischen Gegner natürlich nicht mit Kritik sparen. Dabei ist es für mich als Wahl-Berliner schwer zu ertragen, wie sowohl Diepgen mit seinen ehrgeizigen Zielen für Berlin als auch Wowereit mit seiner Marketing-Aura (“Arm aber sexy”) über das Ziel hinausschossen und am Ende einen Berg an Problemen hinterließen.

Während ich einigen der Fazits beipflichten kann, dass Berlin sich trotz aller Probleme auch an vielen Stellen gut entwickelt hat, kommt die Doku doch zu dem pessimistischen Ergebnis, dass die Politiker der letzten Jahrzehnte der Stadt ein schweres Erbe hinterlassen haben.

Ihnen gegenüber gestellt werden Interviews mit Kulturschaffenden, wobei Opitz vor allem die “Subkultur” im Blick hat (Berlins Musik- und Club-Landschaft) und dabei auch local heroes wie Peter Fox, Sookee und Kool Savas zu Wort kommen lässt. Ihnen gilt klar die Sympathie des Regisseurs, während sich die Politiker gerne um Kopf und Kragen reden dürfen.

Denn den für Dokus üblichen Talking Heads werden private und TV-Aufnahmen der Zeit gegengeschnitten, die es dem Zuschauer auch ohne Off-Kommentar ermöglichen, die Aussagen einzuordnen. Geschichte wird von den Siegern geschrieben - die Bürgermeister von Berlin gehören in Capital B nicht zu den letzteren.

Eher sind es ihre Künstler, denn zu den Widersprüchen von Berlin gehört auch, dass diese inmitten all der Probleme und Möglichkeiten den Soundtrack der Stadt geschrieben haben, welcher der Doku gut zu Gesicht steht - mit Schwarz zu Blau von Peter Fox ist zum Beispiel der Vorspann hinterlegt.

Spannend ist Capital B zudem, wenn es komplexe Zusammenhänge der politischen Entscheidungen ihren Folgen gegenüberstellt. So folgte auf die Wiedervereinigung die Zerschlagung der Ost-Berliner Industrie, wodurch viele Ost-Berliner auf den Arbeitsmarkt von Gesamt-Berlin drängten und dort als billige Arbeitskräfte die ausländischen Gastarbeiter aus Kreuzberg verdrängten. Die hohe Arbeitslosigkeit im Bezirk führte zu hoher Kriminalität, und aus den Jugendgangs wurden über die Jahre die “Clans der organisierten Kriminalität”. Dabei zeigt die Doku aber auch Beispiele, wie es hätte laufen können, wenn nicht der Sparzwang und der verhinderte Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt diese Teile der Gesellschaft vom normalen Leben in der Hautpstadt ausgeschlossen hätte.

Nicht aller Kritik im Film kann ich dabei zustimmen. So beschwert sich eine Bewohnerin von Prenzlauer Berg, dass das letzte unsanierte Haus in ihrem Block nun renoviert wurde und eine Kriegswunde damit verschwunden ist. Mir erschließt sich aber nicht, wieso an Häusern nicht nach 75 Jahren die Fassade repariert werden darf. Erinnerungskultur bedeutet nicht, Wohnraum einfach verfallen zu lassen und Wunden zu erhalten. Als schönes Gegenbeispiel empfinde ich die Stolpersteine - es muss ja nicht immer entweder-oder sein.

Aber ganz klar fehlte es in Berlin am Handlungswillen der regierenden Politiker, spannende Räume aus der Zeit der Berliner Teilung geeignet zu entwickeln. Dies bedeutet nicht alle Brachen zwanghaft zu erhalten, wie Wowereit polemisch meint, aber vom Grün des ehemaligen Mauerstreifens hätte man durchaus mehr für die Allgmeinheit erhalten können anstatt ihn mit privaten Großbauten zuzupflastern.

Und viele andere Metropolen haben verstanden, dass ein Fluss mehr sein kann für die Stadt als Wasser zwischen Häusern. Nur wenige profitieren davon, wenn die Ufer zugebaut werden und nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Dass die East-Side-Galerie Privatwohnungen weichen musste ist in meinen Augen eine der größten Sünden von Berlin.

Aber zurück zu Capital B. Ich kann die Serie nur empfehlen, weil sie es gleichzeitig schafft, die Ursachen für einige der aktuellen Berliner Probleme in einem Zeitraffer über 30 Jahre hinweg aufzuzeigen, und ein Loblied auf das zu singen, was die Stadt in der ganzen Zeit so attraktiv gemacht hat.