Fallout - Staffel 1
Es ist schon über 13 Jahre her, dass ich in Fallout 3 das Ödland erkundet habe. Mit der achtteiligen ersten Staffel Fallout bringt Amazon nun zusammen mit Bethesda, dem Entwickler der Spiele, die Handlung der Spielewelt als Live-Action-Serie auf die Streaming-Geräte. Und ich habe die knapp acht Stunden in wenigen Tagen weggebinged.
Das liegt vor allem daran, dass die Serie die wunderbar schräge Welt der Spiele sehr gut übernommen hat. In Fallout scheint die Welt in den 50er/60er Jahren stehen geblieben zu sein; nur dass 2077 die Welt durch Atombomben zerstört wurde und die gesamte Erdoberfläche seitdem verstrahlt ist. Ein Teil der Menschen konnte sich in unterirdische Bunker (sogenannte Vaults) retten und plant, nach dem Nachlassen der Strahlung die Erde wieder zu bevölkern. Doch auch an der Ödland genannten Oberfläche hat sich menschliches Leben erhalten können, wenngleich die Formen des Zusammenlebens eher an den Wilden Westen als moderne Zivilisationen erinnern.
Oft habe ich in Zusammenhang mit Fallout von Retrofuturismus gelesen, und das trifft es ganz gut. Der oberflächliche Optimismus der Nachkriegszeit, dass die wirtschaftliche und technische Entwicklung das Leben aller verbessert, wird dem aktuellen Pessimismus gegenübergestellt, dass die Menschheit eine stark zerstörerische Ader hat, dass grenzenloses wirtschaftliches Wachstum als Selbstzweck unseren Planeten und damit unsere Lebensgrundlage vernichtet und Technologien auch ihre Schattenseiten haben.
Aus dieser starken Reibung entstehen auch die Konflikte der Serie, denn zwei der drei Hauptcharaktere (Lucy MacLean und Maximus) kommen aus den repräsentierenden Fraktionen (Vault-Bewohner als Erhalter der wirtschaftlich-technischen Welt, die Bruderschaft als Sekte, die in militärischer Stärke und Zerstörung alles Andersartigen den einzigen Weg des Überlebens sieht) und ecken mit ihren erlernten Vorstellungen ganz schön an, als sie mit der Realität im Ödland konfrontiert werden. Mit dem Ghoul als autonomen Cowboy bekommen sie eine Figur an die Seite gestellt, die mit ihrem Wissensvorsprung und Talenten an dieser Konfliktlinie entlangtanzt und in Rückblenden in die Zeit der Atomschläge nach und nach die wahre Geschichte dieser alternativen Welt offenlegt.
Besonders gefallen hat mir dabei der schwarze Humor, der nicht nur in den Dialogen auftritt sondern sich auch auf der Handlungsebene wiederfindet. Immer wieder verhalten sich die Nebenfiguren anders als von Lucy oder Maximus erwartet, gehen Kämpfe anders aus als sie sollten, tauchen tragikomische Roboter auf. Einmal muss Maximus Zähne verkaufen, oder der Knappe Thaddeus bewundert die Fallen vor einer Radiostation und tappt dann selber hinein - hier funktioniert auch das Timing im Schnitt hervorragend und der Soundtrack unterstützt mit vielen Oldies die Bildebene hervorragend.
Die Ausstattung und das gesamte Art-Design ist ebenso gelungen. Das 50er/60er industrielle Design von Möbeln, Autos, Schaltern und Monitoren lebt wunderbar den Geist der Vorlage; auch die Farben (markant das Blau von Vault-Tec) und Kostüme (markant der zerissene Rock des Ghouls) prägen sich ein. Dazu beeindrucken sowohl die Ödland-Kulissen in den wüstenartigen Weiten als auch den Oasen wie der Stadt Filly (Megaton aus Fallout 3?) oder den Resten des Griffith-Observatoriums. Im Gegensatz zu vielen anderen Serien sind die Effekte auch sehr stimmig integriert und kaum zu sagen, was jetzt Modell oder CGI ist. Nur in der zweiten Episode beim Kampf des Ghouls mit der Militärrüstung sehen die Bewegungen unnatürlich aus, in Episode 7 schneit es plötzlich an einer Tankstelle, wo wir doch sonst nur kalifornische Sonne sehen und in der letzten Episode sehen wir einen seltsam verjüngten Kyle MacLachlan - den Rest der Zeit wirkt jedoch alles wie aus einem Guss.
Als Spieler der Vorlage hat es mich gefreut, dass viele Details der Games den Weg in die Serie geschafft haben: Kronkorken als Währung, die an Atomkraft erinnernde Markennamen (Nuka Cola, Radiation King Fernsehgeräte) und sogar sehr spielerische Elemente wie der Pipboy oder Stimpacks finden sich wieder. Aber auch wenn die Handlung Teile der Spiele aufgreift, hebt sie sich doch deutlich von klassischen Game-Story-Arcs ab (negatives Beispiel: Ready Player One).
Doch wo viel Licht, da gibt es auch Schatten. Der Soundtrack hat Höhen und Tiefen. Und manchmal passieren einfach Dinge, die nicht zueinander passen wollen. So wird Lucy vom Ghoul der Finger abgeschnitten, doch gleich in der nächsten Szene bekommt sie von Roboter Mr. Handy einen neuen angenäht. Das zeigt sehr gut, wie Medizin in der gamifizierten Welt von Fallout funktioniert. Allerdings will der Roboter gleich danach Lucy zerschneiden, um an ihre wertvollen Organe zu kommen. Warum sollte er ihr vorher einen Finger annähen; warum hat er sie nicht gleich zerlegt?
Es gibt einige Stellen, an denen das Drehbuch in aller Überdrehtheit seine Konstruiertheit offen zeigt. Doch da die Handlung unterhaltsam ist, mit viel schwarzem Humor serviert wird und die Welt von Fallout einfach toll anzusehen ist, empfehle ich die Serie nicht nur, aber vor allem Fans der Spiele.