Maniac
von Benjamin Labatut, erschienen im Suhrkamp Verlag
Maniac ist in Buchform das, was Midnight in Paris als Film war: Ein fiktionales Spiel mit einigen der berühmtesten Köpfe des 20. Jahrhunderts; ein Nostalgie-Trip für Bildungsbürger. Nur dass sich bei Maniac die wichtigsten Mathematiker und Physiker die Klinke in die Hand geben: Gödel, Hilbert, Oppenheimer, Feynman.
Sie kommen jeweils in kurzen Kapiteln zu Wort und jeder erzählt eine persönliche Episode über John von Neumann; seien es private Erinnerungen oder Anekdoten aus der Zusammenarbeit an dessen wichtigsten Projekten. Nach und nach entsteht so eine Biografie als Kaleidoskop von Geschichten, auch ohne dass von Neumann eine eigene Perspektive beiträgt. Da es sich bei Maniac aber trotz der gut belegten historischen Sachlage um ein fiktionales Werk handelt, ist die Frage einer ausgewogenen Darstellung eher akademisch; wobei trotz der deutlich mitschwingenden Bewunderung für das Lebenswerk von Neumanns die menschlichen Schwächen niemals ausgeblendet werden.
Benjamin Labatut variiert stark die Sprache seiner ErzählerInnen. Das wirkt sehr authentisch bis auf zwei Kapitel, in denen der Ingenieur des ersten Computers auf Basis der von-Neumann-Architektur, dem MANIAC, zu Wort kommt. Denn dort verwendet der Autor eine sehr einfache, fast slang-artige Ausdrucksweise, die ich einem Ingenieur einfach nicht abnehme. Vielmehr wurde ich an das ständige Nörgeln von Sheldon Cooper an diesem Berufszweig erinnert - keine Ahnung ob das witzig gemeint ist oder sich Labatut das Herabschauen der Physiker auf die praktischen Disziplinen eigen gemacht hat.
Doch das Buch beschränkt sich nicht nur auf das Leben von von Neumann. Kurz vor seinem Tod beschäftigte sich das Genie, konfrontiert mit der eigenen Sterblichkeit, noch mit der Theorie selbstreproduzierenden Automaten. Labatut sieht darin den Vorläufer der heutigen KIs und schiebt als “Beweis” dafür, wie von Neumanns Ideen unser Leben selbst heute noch beeinflussen, zwei längere Kapitel nach, in denen erst der weltbeste Schachspieler und später der dominierende Go-Spieler durch Niederlagen gegen Computerprogramme in Sinnkrisen gestürzt werden. Die Beschreibung, dass selbst ihre Schöpfer nicht nachvollziehen können, warum die Programme bestimmte Züge wählen, interpretiere ich als Labatuts narrative Implikation, dass von Neumann Jahrzehnte nach seinem Tod sein letztes Ziel erreicht hat, künstliches Leben zu erzeugen.
So weit würde ich persönlich nicht gehen in der Beurteilung der zugegeben beeindruckenden Fortschritte im machinellen Lernen und den LLMs. Aber auch stilistisch wollen die letzten Kapitel nicht zu den ersten drei Vierteln des Buches passen. Denn nun liest sich Maniac eher wie ein populärwissenschaftliches Sachbuch (z.B. in der Kurzbiografie von Demis Hassabis oder der Erklärung des Go-Spiels). Das hat auch seinen Reiz, ist gut geschrieben und zeigt wie Labatut sehr technische Themen verständlich erklären kann, aber für mich stellte dies einen zu starken Bruch mit dem Rest dar. Und weil es nunmal das Ende des Buches ist, wirft es leider einen Schatten auf alles Gute, was davor kam.