Die großen Vier
von Agatha Christie
Wie schon woanders beschrieben habe ich in meiner Jugend sehr viel Agatha Christie gelesen. Irgendwann vor 25 Jahren bin ich dann zu anderer Literatur weitergezogen und habe mich seitdem vor allem den Verfilmungen gewidmet. Doch im Urlaub in den Dolomiten kreuzte ich unverhofft den Agatha-Christie-Weg und durfte lernen, dass die Queen of Crime hier vor hundert Jahren ebenfalls zum Urlaub weilte und sich vom Felsen-Labyrinth zu ihrem Roman Die großen Vier inspirieren ließ. Was wiederum mich animierte, noch in Südtirol das Buch zu besorgen.
Mein allererster Hercule-Poirot-Roman. Zwar kenne ich alle Eigenheiten des belgischen Meisterdetektivs dank der tiefen Spur, die sie in der Popkultur hinterlassen haben. Aber ich hätte mir (vermutlich) kein schlechteres Buch für den literarischen Erstkontakt aussuchen können. Wobei Buch fast zu viel gesagt ist, denn eigentlich ist es eine Sammlung von Kurzgeschichten, kurzen Fällen, die durch eine lose und nicht recht funktionierende Rahmenhandlung zusammengefasst wurden - dieses Konzept hat Agatha Christie in Die verschwundenen Goldbarren aber schon deutlich besser hinbekommen.
Positiv formuliert war die Idee einer nach der Weltherrschaft strebenden, international agierenden Verbrecherorganisation mit geheimer Basis mitten in einem Felsenlabyrinth bei Veröffentlichung des Buches bestimmt innovativ (der erste Bond-Roman sollte erst 1953 erscheinen). Doch so richtig will die Idee nicht zünden, da es doch zu haarsträubend ist, was uns Agatha Christie hier auftischt. Immer wieder wird Poirot von der Nummer 4, einem scheinbar perfekten Schauspieler, hinters Licht geführt. Das mag einmal funktionieren, vielleicht auch zweimal, aber leider bleibt es nicht dabei. Und jedes Mal haben die Großen Vier ein anderes Ziel in Bezug auf Poirot, Hastings und dessen Frau im Visier. Als dann Poirot auch noch nach jedem gelösten Rätsel erst einmal wieder in den Warte-Modus wechselt wird überdeutlich, dass die einzelnen Fälle als eigenständige Kurzgeschichten konzipiert waren und einfach nicht zusammenpassen.
Die Organisation der Großen Vier bleibt für mich auch mehr Behauptung als dass sie greifbar wäre. Schon die Grundidee ist mir zu abgehoben: Ein genialer Chinese, ein amerikanischer Multimillionär, eine französische Wissenschaftlerin und ein Schauspieler sollen sich zusammengetan haben, um dann irgendwie versteckt in ihrem Geheimquartier dank einer Superwaffe die Regierungen der Welt zu stürzen? Und dann soll ausgerechnet Poirot ihr größter Gegenspieler sein - sorry, das nehme ich dem Buch nicht ab.
Allein das Ende, wo Poirot den Schauspieler mit seinen eigenen Waffen schlägt, hat mich aufgrund der Ironie wieder abgeholt. Und immerhin - das stimmt mich im Nachhinein etwas milde - hat selbst Agatha Christie Die großen Vier als “rotten book” bezeichnet (die Rahmenhandlung soll aus der Feder ihres Schwagers stammen). Es war also wirklich ein Ausreißer in ihrem Œuvre und so werde ich lieber die Bücher aus meiner Jugend in wohliger Erinnerung behalten als dieses missglückte Werk.